
Seit fast 10 Jahren nutze ich beim Internet-Surfen den universellen Webfilter Proxomitron und wundere mich ebenso lang, warum das eigentlich nicht jedeR tut. Die Seiten von SPIEGEL ONLINE oder Perlentaucher beispielsweise kenne ich nur werbefrei.
Schon vor Jahren erzählte ich einmal einem internet-affinen Bekannten von der Software: Er kannte sie nicht – was mich wiederum außerordentlich verwunderte. Nach einigem Nachfragen kam heraus, dass er sich zwar auch schon ewig über blinkende Anzeigen, unerwartete Pop-up- und Pop-under-Fenster, mitwandernde Grafiken etc. auf inhaltlich eigentlich seriösen Websites ärgere, aber nicht auf die Idee gekommen war, dass er das Recht hätte, diese Elemente zu blockieren bzw. herauszufiltern – schließlich finanzierten sich die Websites (zumindest einige) bekanntermaßen durch eben diese Werbung.
Folgt man dieser Argumentation, wäre man ja eigentlich auch moralisch verpflichtet, alle ca. 35 Werbespots, die die Ausstrahlung eines Hollywoodfilms auf einem privaten Fernsehsender unterbrechen, anzusehen. Es wäre dann sozusagen nicht in Ordnung, Werbeunterbrechungen zum Toilettengang zu nutzen, denn ohne Einnahmen durch effektive Werbung hätte der Privatsender ja die Ausstrahlungsrechte für den Hollywoodfilm gar nicht erwerben können! Wer also Werbung ignoriert, agiert letztlich unsozial. Wer aber Online-Werbung filtert, ist schlichtweg ein Content-Erschleicher! So jedenfalls argumentierte Web-Designer Danny Carlton im Jahre 2007 (allerdings ging es damals nicht um Proxomitron, sondern um die Firefox-Erweiterung „Adblock Plus“).
Logisch, sobald sich eine Website wesentlich durch Online-Werbung finanziert, ist sie in hohem Maß daran interessiert, dass diese von ihren Nutzern auch wahrgenommen werden kann. Der frei erhältliche Proxomitron-Filter verhindert genau dies. Die Installation ist darüber hinaus nicht allzu schwer, wenn auch für Ungeübte eventuell eine gewisse Hürde. Doch wehe, man hat das Ding erstmal zum Laufen gebracht – nach kurzer Zeit vergisst man einfach, dass die Website XY überhaupt mal Werbung enthielt. Das (nahezu) werbefreie Netz wird normal.
Schuld daran, dass Proxomitron, der bereits 1999 von Scott R. Lemmon (1968 – 2004) publiziert wurde, weiterhin so gut funktioniert, ist letztlich einmal wieder der Wissenschaftler Tim Berners-Lee, der in den frühen 1990er-Jahren die offene Architektur des World Wide Webs konzipierte. Hätten sich stattdessen die Geschäftsleute Bill Gates oder Steve Jobs des Themas angenommen, müssten wir uns um all diese Dinge heute vermutlich sowieso keine Gedanken machen: allein die Idee, dem Nutzer beim Filtern von Inhalten freie Hand zu geben, wäre den Herren wohl abwegig erschienen.
Sind Proxomitron und seine Verwandten deshalb aber schon „subversiv“? Schon ein kurzer Blick ins WWW zeigt, dass das Thema seit Jahren immer mal wieder hochkocht und streckenweise recht emotional diskutiert wird. Warum Online-Werbung wichtig fürs Web ist und Werbeblocker böse, erklärte Frank Patalong auf SPIEGEL ONLINE im Jahr 2010 so:
Wer Werbung als Belästigung wahrnimmt, sollte sich eines klarmachen: Der Deal, der auch dieses Angebot hier [gemeint ist SPIEGEL ONLINE, S. H.] möglich macht, funktioniert nur, solange nicht zu viele Nutzer die Werbung verweigern. Werbeverweigerer haben die Freiheit kostenlosen Web-Medienkonsums nur, solange sich ihnen nicht zu viele Nutzer anschließen. Steigt der Prozentsatz der Verweigerer zu stark, wird ein Angebot entweder kostenpflichtig oder geht unter. Wann schalten Sie Ihren Werbeblocker ab?
Der Bielefelder Blogger Maurice Sand keilte in seinem Artikel Werbe-Nie? umgehend zurück:
Wer Werbung als Belästigung aufsetzt, wer mit seiner Art der Integration dafür sorgt, dass sich viele Nutzer nicht mehr ohne Adblocker auf die Seiten des eigenen Portals trauen, … der sollte sich eines klarmachen: Der Nutzer ist auf längere Sicht kein Klickvieh, dass widerstandslos alles schlucken wird, was ihm vorgesetzt wird. Er ist der andere Teil, der eure Angebot überhaupt erst möglich gemacht hat.
Fakt ist: Der redaktionelle Inhalt von Webseiten wie Perlentaucher oder SPIEGEL ONLINE stand und steht in teilweise so krassem Widerspruch zum Niveau der Werbeeinblendungen, die sich mir dort ungefragt aufdrängen, dass ich mich schon aus Gründen der Lesbarkeit gezwungen sah, hiergegen etwas zu unternehmen (Das gilt übrigens auch für die Print-Ausgabe des SPIEGELs, die ich immer als erstes von allen eingelegten Prospekten, eingeklebten Antwortkarten und sogar eingehefteten Sonderseiten befreie – erst dann erscheint mir das Heft „gebrauchsfertig“. Bin ich ein Sonderling?). Beispiel von heute: „Sie sparen bis zu 40%! Jetzt buchen und sparen! Viel Winter-Urlaub für wenig Euro!“ (Perlentaucher). „Gesucht. Geklickt. Gefunden. Von welchem Zuhause träumen Sie? Ihr Immobilienportal. Willkommen zu Hause“ (SPIEGEL ONLINE).
Ich betrachte es schlicht als Gewinn von Lebensqualität, dass Proxomitron mich vor derlei dämlicher Anmache, der ich, sobald ich aus dem Haus gehe, durch Plakatwerbung ohnehin pausenlos ausgesetzt bin, wenigstens beim WWW-Browsen einigermaßen schützen kann. Für mich erhöht sich dadurch die Attraktivität der erwähnten Websites beträchtlich und ich besuche sie öfter und unbeschwerter.
Dafür möchte ich jetzt einfach mal danke sagen.
Abschließend zwei unwahrscheinliche, aber nicht unmögliche Szenarien, deren Folgen mich wirklich interessieren würden:
- Proxomitron (oder etwas Vergleichbares) wird in die nächste Version von Firefox integriert und jedermensch kann ab sofort einen Großteil jeglicher Online-Werbung problemlos filtern.
- Lobbyisten erreichen, dass die Verwendung von Werbeblockern in Zukunft generell unter Strafe steht, weil sie die freie Entfaltung des Unternehmertums behindere.
P.S. Der Verfasser steht in keiner persönlichen oder geschäftlichen Verbindung mit Proxomitron.