Nebenan bei „Ausgewuchtet“ fragte sich Erich S. Hermann vor einigen Tagen, wie man als Künstler denn heute noch provozieren könne und kommt – wen wundert’s? – zu keinem vernünftigen Schluss.
Mir ist jetzt aber doch was eingefallen. In einem Text von David Foster Wallace über „Test-Esser“ bei einem Hersteller von Süßigkeiten gibt es eine Stelle, wo er einen der Probanden sinngemäß folgendermaßen charakterisiert: „Er machte nicht den Eindruck, als wäre sein Recht als Konsument jemals infrage gestellt worden.“
BAM! – da ist sie doch, die wahrhaft zeitgemäße Provokation. Ich stelle mich hin und sage: „Hej Alter, wer gibt dir eigentlich das Recht, dich als Konsument zu verstehen?“ Boah – echt krass.
Aber warum?
Nun, alles, was man auf diese Frage antworten kann – also „Ich selbst“ / „Die Gesellschaft“ / „Mein Geld“ / „Der Zeitgeist“ etc. – klingt blöd bis sehr blöd.
Wohlgemerkt, bei dieser Provokation ginge es nicht um die gute alte „Konsumkritik“ (gähn), auch nicht um „Konsumverzicht“ (bzw. Minimalismus, wie das seit einigen Jahren heißt) (schnarch) oder gar irgendeine Form von Askese (jaul).
Es ginge vielmehr darum, sich über jegliche Art von Waren- und Markenbezogenheit, die Platz im engeren Selbstverständnis eines Individuums findet – nennen wir es doch einfach mal Markenzombietum – , lustig zu machen. Das würde doch einer sehr großen Menge von Menschen, vom politisch korrekten Bio-Konsumenten bis zum SUV-Fahrer, vom Manufactum-Fan bis zum Amazon-Kunden, vom Thor-Steinar-Aficionado bis zum Abercrombie & Fitch-Fixierten, (schweigen wir von den „Freunden“ der Marken Apple, DKNY, The North Face, Nike, BMW, Schöffel, Boss, Adidas, Porsche, Puma etc.) ziemlich auf die Nerven gehen, oder?
Ich habe nämlich festgestellt, dass diese Waren- und Markenbezogenheit den Menschen eine (mir unheimliche) Art von Freude gibt – die ich ihnen nur allzu gern gründlich verderben würde. Das Kaufen ganz bestimmter Waren scheint geradezu als seelische Kraftquelle zu dienen: Ich kaufe ein Apple-Produkt – und fühle mich besser. Ja: mich. Der Erwerb des Produkts hebt meine Stimmung, denn er macht mich zu einem besseren Individuum (tausendfach erlebt – auch selbst – wenn auch so gut wie nie von bzw. vor irgendjemandem eingestanden). „Wenn es mir schlecht geht, kaufe ich mir einfach [sic!] ein paar Schuhe von XXX, und schon fühle ich mich besser!“ – „Seit ich SUV-Fahrer bin, hat sich mein Selbstwert deutlich verbessert.“ – „Ohne mein XXX-Kostüm traue ich mich gar nicht mehr aus dem Haus!“ etc.
Freunde, geht’s noch irrationaler?
Dabei darf selbstverständlich kein „idealistisches“ Gegen-Ideal propagiert werden – sonst bekäme man nämlich gleich Applaus von der falschen (z. B. religiösen) Seite. Und damit hier kein Missverständis entsteht: Weder neide ich den Markenzombies ihr zusammengeshopptes Premium-Ego, noch bedauere ich sie. Ich würde auch nicht wollen, dass sie „ihr Leben ändern“ (Rilke, bzw. Sloterdijk). Ich würde mir lediglich die Freiheit nehmen, mich über sie lustig zu machen. Das haben sie sich schließlich redlich verdient.
Das sehe ich ein wenig anders:
Das Ego, als eine Art Person in uns, verlangt nahezu ständig nach „Nahrung“. Es braucht die Stärkung seinerselbst wie das tägliche Brot. Erwachte/Erleuchtete durchschauen im Übrigen die Wirkungen des Egos eher, sind aber auch nicht völlig frei davon..
Da also das Ego ständig Stärkung bedarf, ist es zunächst mal nicht wählerisch, welche Nahrung es in sich aufnimmt. Hauptsache, die Stärkung funktioniert.
Statussymbole aber auch Charaktereigenschaften, Talente, Stärken, Erworbenes – all das kann beitragen dazu, daß man sich eine Weile gut fühlt.
Ein schwaches Ego wird als zu schmerzlich empfunden, sodaß man an allen Stricken zieht, um wieder höher zu rutschen.
Insofern mag ich gar nicht urteilen, woher jemand diese Stärkung im Einzelnen holt:
Ich fahre das neueste Porsche-Modell.
In meinem Haus ist es pikobello sauber.
Ich schaffe es immer, pünktlich zum Bus zu gehen.
Ich brauche nur 5 Stunden Schlaf.
Ich kann 10 Halbe trinken und merke nichts.
Meine Kleidungsfarben sind immer sehr abgestimmt.
In meiner Jugend lief ich einmal 11,1.
Ich rege mich selten auf.
Ich bin 42ter in einer Gruppe von 18000 Schachspielern.
Ich kenne fast alles in Musik.
Im Job ermüde ich nicht und bin immer ansprechbar.
Theoretisch habe ich nahezu alles zu diesem Gebiet gelesen.
Kant ist für mich der grösste Philosoph.
Ich kommuniziere regelmässig mit Wissenschaftler X.
Man schätzt meine Beiträge.
Zu Portraits habe ich 1001 Ideen.
Ich bin vielseitig interessiert.
Auf diese Idee ist noch keiner gekommen.
Ich habe das neueste Phone und kenne die Funktionen aus dem FF.
Bei mir ist alles wohlgeordnet.
In Italien kaufe ich primär Missoni.
Ich kenne die meisten Pflanzen beim Namen.
Mit einem Freund bin ich mal 200 km Rad gefahren.
Höhenangst kenne ich nicht.
Ich kann blind Schach spielen.
Ich war fast 50x in XXX.
Mich mögen viele Menschen.
Viele wissen, daß sie neben mir keinen Quatsch erzählen können.
Ich bin bekannt wie ein bunter Hund.
Mein Freundeskreis ist sehr groß.
Mein Urgroßvater war mal Teil der kaiserlichen Garde.
Mein Vater hat sich einst für die Studentenolympiade qualifiziert.
Ich bin XXX groß.
Ypousteguy erkenne ich auf 100 m.
Auf dem Instrument xxx kann mir fast keiner was vormachen.
Ich habe ein sehr feines Gehör.
Ich bin sehr sensibel, was meine Sinne betrifft.
Dieses spezielle Grün weiß nur ich anzumachen.
Dieses Modell bin ich auch schon gefahren.
Ich habe alle Bücher/CDs von XYZ.
Man schickt mir eigens immer eine Einladung.
Mein Kleiderschrank enthält nur tragbare Teile.
Ich muß ständig was an der Wohnung ändern, weil meine Augen immer prüfend unterwegs sind.
Meine Anmerkungen von vor 5 Jahren sind immer noch richtig.
Ich weiß auf die Minute, wie lange ich von A nach B brauche.
Bei mir zuhause ist es sehr ruhig. Keine Lärmquellen, also auch keine Musik.
Auf einen Knopfdruck bin ich sofort in Anwendung X.
Ich glaube zunächstmal niemanden.
Das ist dasselbe Rot wie in Gomera, im Garten des XXX.
Ich kann sogar auch XXX was abgewinnen!
Frag mich mal was!
In Norwegen ist die Dachschräge anders als hier.
Vor 2,1 Milliarden gab es den ersten Vielzeller.
Der Rotwein von XXX hat eine Note, die mir nicht so zusagt. Ich bevorzuge YYY wegen des feinen fruchtigen Nachgeschmacks auf der Zunge.
Ich bin am gleichen Tag wie XXX geboren.
Dieses Gadget hatte ich mir schon letztes Jahr gekauft.
Ich kenne einige Leute in XYZ.
Ich kann praktisch handwerklich alles.
Ich habe drei Häuser gebaut.
Ich habe ein Boot in XXX liegen, ein Haus in YYY.
Mir kann man alles aufbürden, man macht mich nicht nervös. Versuchen Sie es einmal!
In 25 Minuten fahre ich von C nach D, so sicher, daß mein Beifahrer dabei schläft.
Ich weiß, wie das hier in 5 Jahren aussieht.
Ich beziehe bestimmte Lebensmittel per Versand aus verschiedenen, privaten Quellen.
Dieses Produkt kaufe ich nicht.
Musiker XYZ ziehe ich deutlich NNN, dessen Kompositionen mir aus Gründen VVV nicht zusagen, vor.
Usf.
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@Gerhard: Am besten an deiner Aufzählung gefällt mir: „Das ist dasselbe Rot wie in Gomera, im Garten des XXX.“ Man könnte das auch subtil paraphrasieren, etwa so: „Das ist dasselbe Petrol wie in Gaubüttelbrunn, im Schweinestall des YYY.“ Schon klingt’s nicht mehr ganz so preziös 😉
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