Robert HP Platz über den Unterschied zwischen Jazz-Komponisten und Komponisten Neuer Musik

Robert HP Platz (*1951)
Robert HP Platz (*1951)

Vergangene Woche hatte ich die erfreuliche Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit dem Komponisten und Neue-Musik-Dirigenten („Ensemble Köln“) Robert HP Platz (*1951) zu führen. Ich berichtete ihm u. a. von meinen Erfahrungen mit Jazz und Improvisierter Musik – und dass es meiner Meinung nach weiterhin ein klares Ressentiment von Seiten vieler „von der Klassik her kommender“ Komponisten gegenüber diesen Formen zeitgenössischer Kunstmusik gebe. Robert sandte mir daraufhin folgenden kurzen Text zu (und erlaubte mir dessen Publikation), den ich in der Folge gerne mit jedem, der Lust dazu hat, – vor allem aber mit Robert HP Platz selbst – hier in der Weltsicht diskutieren möchte:

Robert HP Platz: Was ist das eigentlich: Neue Musik komponieren? (2014) (PDF)

Der Titel des Textes mutet reichlich mutig an (was ich großartig finde) – mir ist seit den heroischen Entwürfen der Nachkriegszeit (Stockhausen, Xenakis) kein Versuch eines Kunstmusik-Komponisten mehr untergekommen, sein Tun tatsächlich einmal zu definieren. Dies hat mich stets um so mehr erstaunt, als die nach 1945 ekstatisch als „neu“ geborene Musik stets mit dem Anspruch angetreten war, den letzten (höchsten / tiefsten / fortgeschrittensten etc.) Reflexionsstand der ars musica überhaupt zu repräsentieren. Um es gleich vorwegzunehmen: Den ästhetischen Fortschritt etwa der Elektronischen Musik von Xenakis gegenüber allem bisher Dagewesenen würde ich bis heute verteidigen, aber die allermeiste „Neue Musik“, die danach kam, klang in meinen Ohren schlicht epigonal oder gar (gemessen an Xenakis‘ eigenen Maßstäben) defizitär (Nebenbemerkung: Es geht hier nicht um die Qualität von Platz‘ Musik: alles, was ich kenne, finde ich komplett in Ordnung bzw. sogar recht gut).

Nun, Platz‘ Text ist freilich kein Manifest, nicht einmal ein Traktat – es handelt sich eher um eine persönliche Notiz, mit der sich der Künstler aus gegebenem Anlass sozusagen „nebenbei“ mal wieder einiger Gewissheiten seines Tuns versichert. Gerade darum erscheint er mir aber aufschlussreich für das Selbstverständnis vieler eMusik-Komponisten dieser – und vermutlich nicht nur dieser – Generation zu sein:

[…] ein Jazz-Komponist bedient sich eines Systems von Verweisen, das bei informierten Spielern präfixierte musikalische Gesten abruft. […] Eine Partitur wird so zum Relais für die Verknüpfung präfixierter musikalischer Modelle. Jedes davon bekommt im Rahmen der Partitur (und innerhalb eines meist durchgehenden, fast würde ich sagen: alles einebnenden Beats) seinen Raum zugewiesen. […] Bei der Neuen Musik (ja, bei aller komponierten Musik der Europäischen Geschichte der letzten 250 Jahre) ist eine solche Verwendung präfixierter Modelle eher selten, und wenn, dann nur in exakt ausnotierter, verschriftlichter Form zu finden.

Platz  hat, was die Formulierung vom „Abrufen präfixierter musikalischer Gesten“ im Jazz betrifft, nur in einer – sehr spezifischen – Art und Weise  Recht: der Funktion von lead sheets im Modern Jazz. Die Notation bsp.weise des Real Books ergibt für ausschließlich klassisch geschulte Musiker schlicht keinen Sinn: Sie ist eine Form von Stenographie, die in der Tat eine Menge Zusatzwissen bei der Interpretin (bzw. beim improviser) voraussetzt, damit daraus lebendige Musik werden kann. In jeder anderen Lesart jedoch würde ich Platz‘ Diktum (Verdikt?) heftig widersprechen, bekräftigt es doch (wenn auch recht subtil) eine klare ästhetische Hierarchie: Auf der einen Seite stehen die an ihre präfixierten (d. h. von Dritten festgelegten) Modelle gekettenen, bestenfalls bereits Vorgekautes permutierenden „Jazz-Komponisten“, auf der anderen die tatsächlich freien „Neue Musik-Komponisten“, die derlei Krücken nicht bedürfen und so tatsächlich in der Lage sind, in ästhetisches Neuland vorstoßen.

Interessanterweise verwendet Platz hier eine ähnliche Denkfigur wie Derek Bailey (ich nenne ihn gerne den „Lachenmann des Jazz“), als dieser in seinem 1980 erschienenen Standardwerk „Improvisation – Its nature and practice in music“ die „non-idiomatische“ Improvisierte Musik der 1960er Jahre als Überwindung des „idiomatischen“ Modern Jazz (also Swing, Bebob, Cool, Hardbop etc.) beschrieb (Wie Bailey das als Performer umgesetzt hat, kann man hier hören und sehen).

Neue wie Improvisierte Musik verstanden (und verstehen?) sich also als Abschied von „präfixierten“ bzw. „idiomatischen“ ästhetischen Modellen (vulgo „der“ Tradition) – nun ja, so weit, so wenig überraschend. Aufschlussreicher ist da schon, dass beide Musikkonzepte am (durch Adorno formulierten) Paradigma, ästhetischer Fortschritt könne sich nur im musikalischen Material manifestieren, nicht kratzen. Harry Lehmann hat die negative Ästhetik Lachenmanns einmal treffend als invertierte Idee der absoluten Musik beschrieben. Ähnliches lässt sich über die Improvisierte Musik (und ihre „Vorform“, den Free Jazz) sagen: „Freiheit“ gewinnt sie ausschließlich negativ in der Abgrenzung von ihren plötzlich als defizitär empfundenen einstmaligen Idolen und Vorbildern (also z. B. Louis Armstrong, Duke Ellington, Charlie Parker etc.). Im oben verlinkten Video erzählt Bailey übrigens sehr schön von seiner Wandlung vom Unterhaltungsmusiker zum free improviser.

Platz weiter:

Diese Verschriftlichung entwickelt indes ihre eigenen Gesetze. Zusammenhänge werden komplexer dadurch (der Unterschied zwischen oraler Tradition und verschriftlichter Erzählung entspricht dem auf Seiten der Literatur), und die auskomponierten Klänge, die Rhythmen – ja: alle Einzelheiten einer Partitur werden komplexer, da sie so jeweils auch formale Funktion tragen können (nicht müssen) oder besser: sie werden spätestens seit Beethoven formalen Entwicklungen unterworfen.

Auch hier scheint mir wieder (und wieder ein wenig verschleiert) ein soziokulturell stark hierarchisierendes Denken am Werk zu sein. Auf der einen Seite steht die „orale Tradition“, also eine Zivilisationsstufe vor der Verschriftlichung (sic!), der letztlich – so lese ich das nun mal, lieber Robert HP Platz – auch der Jazz und seine „Jazz-Komponisten“ zugeschlagen werden. Will sagen, der „Jazz-Komponist“ kann sich mühen, wie er will, er kommt über seine „präfixierten musikalischen Gesten“ bzw. „Modelle“ nicht hinaus. Der „Neue Musik“-Komponist dagegen wäre – nach dieser Lesart – „von Haus aus“ frei, weil … nun, weil er eben „Neue Musik“-Komponist ist. Oder wie jetzt?

17 Kommentare zu „Robert HP Platz über den Unterschied zwischen Jazz-Komponisten und Komponisten Neuer Musik

  1. Dass es nach Xenakis keine Komponisten mehr gegeben hat, die ihr „Tun tatsächlich einmal definieren“, ist schon recht zugespitzt. Die Definition von Platz, dessen Text ich übrigens recht gut finde, erscheint nur deswegen so griffig, weil es ihm ja nur um die eine Unterscheidung Neue Musik/Jazz geht. Da bekommt man natürlich auch eine einfache Definition für die Neue Musik heraus. Normalerweise müssen sich Komponisten aber in einem viel komplexeren Feld verorten, sprich ihr Werk mit vielen verschiedenen Abgrenzungen, Wertungen und Unterscheidungen beschreiben. „Definieren“ ist dann vielleicht nicht mehr das rechte Wort, aber den Begriff der Neuen Musik haben auf ihre Weise auch Lachenmann oder Kreidler bestimmt. (Nur Jazz hat da wohl bislang keine große Rolle gespielt).

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    1. @Harry: Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass (von Klarenz Barlow mal abgesehen) eKomponisten in den verg. 50 Jahren (also *nach* Lachenmann oder auch dem frühen Reich) kaum Interesse zeigten, ihr Tun jenseits idiosynkratischer bzw. hermetischer Privatphilosophien oder -mythologien zu reflektieren (Gegenbeispiele sind herzlich willkommen, ich bin gespannt!) – bis heute eben (Kreidler). Und exakt auf dieses bemerkenswerte Phänomen wollte ich hinweisen.

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    2. @Stefan: Was sich geändert hat, ist wohl eher, dass bestimmte Erklärungsmodelle, die in der ein oder anderen Weise auf Adorno zurückführen, in den letzten Jahrzehnten so weitverbreitet und selbstverständlich waren, dass man sie vielleicht nicht sofort als eigenständige, orginelle und neue ‚Definitionen‘ der Neuen Musik wahrnehmen konnte. Aber reflektiert haben Komponisten wie Ferneyhough oder Rihm ihr Tun schon.

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    3. @Harry: Ich würde niemals gerade stil- und schulebildenden Komponisten, wie du sie genannt hast, das Reflexionsvermögen absprechen, das wäre abwegig. Es interessiert mich aber immer sehr, auf welche Weise diese ihre jeweilige ästhetische Praxis begründen (bzw. deren Verbalisierung generell ablehnen, das ist ja auch eine klare Aussage, Nicht-Mitteilbarkeit als Glaubensbekenntnis und so, ich respektiere das; vgl. etwa Gerhard Richter (sinngemäß): „Wenn ich’s hätte sagen können, hätte ich’s nicht gemalt.“).

      Der Komponist, der gar keine Aussage über sein Tun macht, macht damit eben auch eine Aussage – er gibt sein Werk sozusagen „frei“ (witzig ist, dass es eine Menge Künstler zu geben scheint, die sich immer erst dann – empört – zu Wort melden, wenn sie sich mal „missverstanden“ fühlten. Also hatten sie doch immer schon klare Intentionen, hüteten sich aber wohlweislich, diese auch zu formulieren. Letztlich nicht mehr als eine geschickte Marketingstrategie, sich interessanter und geheimnisvoller zu machen, als man vielleicht ist. Mich ermüdet sowas).

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  2. Gedanken dazu:
    Neue Musik hat mehr Bausteine zur Verfügung als (in irgendeiner Form standardisierter, nicht free) Jazz, ganz allgemein. Da kann ich Platz gerade noch so zustimmen – das betrifft aber nur die Definition der Genres, einzelne Komponisten von Neuer Musik können sich sogar auf ganz wenige Bausteine beschränken, sodass sie im Vergleich mit einem bestimmten Jazz-Komponisten weniger Vielfalt zulassen. Die Anzahl der Bausteine sagt noch nichts über den ästhetischen Wert aus, so man so etwas feststellen will. Neue Musik ist eigentlich ein Meta-Genre, das unzählige Nischen zusammenfasst, die nicht viel miteinander zu tun haben müssen (ähnlich wie der Begriff „Weltmusik“). Insofern stellt sich bei Feststellungen über Neue Musik immer die Frage, für was sie nun eigentlich gelten, für ein paar Nischen oder für den Gesamtbegriff – über letzteren lässt sich vermutlich nur sehr allgemein reden.

    Der Behauptung, schriftliche Tradition führe automatisch zu mehr Differenzierung als orale Tradition, widerspreche ich. Beides führt zu Differenzierung, aber in unterschiedlichen Bereichen. Partituren mögen sehr komplex werden, und diese Komplexität wird vielleicht in improvisierter Musik nicht erreicht (bzw. nur einmal, kann dann aber nicht exakt rekonstruiert werden, ist also ein Kaleidoskopwurf gewissermaßen). Umgekehrt wird ein Ritardando oder Crescendo in einer Partitur üblicherweise nur sehr ungefähr angegeben, da hat eine mündliche Weitergabe „so gehört das“ einen Vorteil gegenüber einer Partitur.

    Letzteres wird natürlich mit elektroakustischer Musik auch wieder relativiert, da ein Wave-File genauer ist als jede Partitur und jede mündliche Überlieferung. Dennoch würde ich sagen, dass eine orale Lehrtradition (wie z.B. in der indischen Musik sehr wichtig) auch noch Dinge vermittelt, die man selbst aus einem Wave-File nicht lernen kann. Da ist die Haltung des Musikers gegenüber dem Publikum, zum Beispiel, auch sehr wichtig. Oder die innere Einstellung des Musikers.
    An der Stelle könnte man vielleicht auch noch Konzeptionelle Anteile anführen, die zusätzlich zu einem Wave-File extern vermittelt werden müssen. (Da ist aber wohl nicht soo relevant, ob mündlich oder schriftlich, wiewohl es Unterschiede geben mag. Den spezifischen Tonfall eines Moderators kann man wohl auch schlecht notieren? Gut, kann man wieder aufnehmen.)

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    1. @Philipp: Danke für deinen sehr fakten- und gedankenreichen Kommentar, ich musste da unwillkürlich an unsere Arbeiten mit MIDI bzw. dem ePlayer denken. – Was meine Arbeiten betrifft: Ich habe keine Ahnung, wo das Standard MIDI File (SMF) einer Improvisation in der von Platz etablierten Differenz oral / verschriftlicht verortet werden sollte (ein faszinierendes musikphilosophisches Problem übrigens, über das – soweit mir bekannt – noch nicht so wahnsinnig oft nachgedacht wurde. Hier hab ich’s mal ein bisschen versucht).

      Das MIDI-Protokoll, obwohl bereits über 30 Jahre alt, ist ein Kind der Digitalisierung. Es ist zweifellos – mit Kittler gesprochen – ein Aufschreibesystem, aber man muss nicht schreiben können, um es zu benutzen. Der Unterschied zwischen dem SMF einer Improvisation und ihrer Tonaufzeichnung ist der ungleich direktere nachträgliche Zugriff auf das Material – denn die Musik liegt ja – nun ja – doch irgendwie „schriftlich“ vor, und nicht nur als (natürlich ebenfalls beliebig manipulierbare) Tonaufzeichnung.

      Dennis Schütze hat mal völlig zurecht moniert, die ePlayer-Realisierungen meiner Stücke entbehrten der Einbeziehung von Interpreten. Sie sind – in deinen Worten – letztlich ausschließlich „Wave-Files“, also – nach der „alten“ Sprechweise „Elektroakustische Musik“. Das ist formal richtig, weckt aber völlig falsche Assoziationen. Was aber ist, wenn ich gar nicht wollte, dass meine Musik „interpretiert“ wird? Wenn ich meine eigene ePlayer-Realisierung als einzig angemessen betrachtete (vgl. den „Fall“ Conlon Nancarrow mit seinen Player Pianos)?

      Die Digitalisierung (es gibt hier sicher noch andere Aspekte als MIDI, sorry, falls ich euch damit nerve, aber mit diesem Protokoll kenne ich mich nun mal am Besten aus und ich rede gerne über Sachen, von denen ich auch in konkret technischer Hinsicht was verstehe) bricht die traditionelle Differenz oral / verschriftlicht auf, das ist das Faktum, das Platz‘ Text schlicht ignoriert.

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  3. Zuerst einmal ein großen Lob an Dich, lieber Stefan, dafür, dass du dich regelmäßig und mit großer Neugier für andere Musiker, Künstler, deren Werke und Äußerungen interessierst, dich intensiv damit auseinandersetzt und öffentlich dazu Stellung beziehst. Das ist wirklich vorbildlich und außergewöhnlich, ich habe schon viele Anregung dadurch bekommen.

    Zum Thema selbst: Ich halte es für nicht sehr förderlich – von Platz wie auch von Stefan – diese bipolare Sicht zwischen „Neuer Musik“ auf der einen und „Improvisiertem Jazz“ auf der anderen Seite zu installieren. Mal abgesehen davon, dass es selbstverständlich auch komponierten Jazz gibt (Big Band, Third Stream) und vermutlich auch improvisierte Neue Musik, hat Musik und deren kreativer Prozess insgesamt doch noch etliche weitere Herangehensweisen zu bieten. Fehlen tuen auf den allerersten Blick auch gleich die facettenreichen Ideen der Popmusik, die bei euch beiden anscheinend schon mal prinzipiell durchs Raster fällt. Warum eigentlich?

    Neben der von euch als „orale Tradition“ betitelten Volks-, Welt- und Jazzmusik und der verschriftlichten, klassischen Tradition(en) gibt es ja als drittes Standbein spätestens seit dem 20. Jahrhundert auch die sehr einflussreichen „medial tradierten“ Stile der Populären Musik mit sehr variablen kreativen und technischen Herangehensweisen. Deren Verbreitungstechnik sind nicht die mündliche Weitergabe (also nicht „oral“) oder die Notation, sondern – ganz zeitgemäß – moderne technische Medien wie Schallplatten, CDs, Musikvideos, Streams etc. Ich verstehe, dass die intuitive Arbeitsweise von Popmusikern und deren abstrakte Kategorien wie Sound, Groove, Danceabilty etc. mit euren musikphilosophischen Kategorien schwer zu fassen sind, aber deswegen kann man das doch nicht komplett ignorieren, das wird der Sache nicht gerecht und bagatellisiert eure Äußerungen.

    Es darf auch nicht darum gehen, ob „orale Tradition“, Verschriftlichungen oder „mediale Traditionen“ wertvoller sind oder hierarchisch höher oder niedriger stehen. Nichts davon ist besser oder schlechter, es sind verschiedene Möglichkeiten musikalische Ideen zu kommunizieren. Für den einen funktioniert, das eine bessere, für den anderen, das andere. Ich selbst verwende verschiedene Kombinationen, immer praktisch angepasst an die situativen Bedürfnisse des Projekts und der Teilnehmer. Darum geht’s doch.

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    1. @Dennis: Danke für deinen Beitrag; ich schätze ihn, weil du, wie ich weiß, eine ganz andere Perspektive hast als die anderen (bisherigen) Diskussionsteilnehmer, denn du bist (sehr erfolgreicher!) Pop-Musiker. Deine Fülle an praktischen Erfahrungen mit dem Musikmachen, dem Performen, dem Album-Machen und dem Songwriting geben dir einen ganz anderen Horizont als bsp.weise ich ihn habe. Darüber hinaus bist du aber auch promovierter Musikwissenschaftler und weißt somit auch ganz gerne, was du als Musiker so tust – und exakt diese Kombination finde ich so anregend 🙂

      Wie du finde ich Platz‘ Text reichlich exkludierend. Auf der anderen Seite kann man aber keinem Komponisten / Musiker vorwerfen, dass ihn bestimmte Sachen einfach nicht interessieren (mich interessieren bsp.weise 99,8% der Gegenwartsmusik nicht, die restlichen 0,2% dafür aber ums so mehr. Sie reichen sogar aus, um mein Leben zu füllen ;-)). Interessant wird es da, wo Gründe für Exklusionen genannt werden (was Platz tut), darüber lässt sich dann ja sehr gut diskutieren – und exakt das tun wir hier in sehr konstruktiver Weise, wie ich finde.

      Ziel einer solchen Diskussion kann also niemals ein „Geschmacksaustausch“ sein, aber vielleicht, dass danach jede ihren intuitiv gefundenen Geschmack besser begründen kann, ohne dem jeweils anderen dabei gleich immer einen mitzugeben. Es geht um das gegenseitige Kennenlernen und um das Finden verständlicher Formulierungen des jeweiligen Selbstverständnisses als Musiker, Komponist, Musikphilosoph, Singer/Songwriter. Das muss angesichts der materialen Komplexität bzw. Heterogenität auf einer abstrakten Ebene stattfinden – aber da sehe ich angesichts der kompetenten Teilnehmer dieser Runde kein Problem 😉

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  4. — „Was aber ist, wenn ich gar nicht wollte, dass meine Musik “interpretiert” wird? Wenn ich meine eigene ePlayer-Realisierung als einzig angemessen betrachtete (vgl. den “Fall” Conlon Nancarrow mit seinen Player Pianos)?“ —

    Insofern das Material in einer zumindest irgendwie „schriftlichen“ Form vorliegt, ist die Auswahl des Abspielgeräts durch den Komponisten imho nichts anderes als dessen Interpretation. 😉
    D.h. Komposition und Improvisation fallen in dem Fall zusammen, sind nur noch manchmal voneinander trennbar. (Da ich von vornherein mit den fixierten Instrumenten beginne, ist die Interpretation nur durch Manipulation der Noten veränderbar – man könnte aber das MIDI-File auch mit einer anderen Soundbank abspielen – da ist dann die Frage, ob ich mich hinter das etwas unvorhersehbare Ergebnis auch noch stellen will.)

    Dieses Zusammenfallen ist auch nicht der Computermusik vorbehalten – ich lasse z.B. sehr ungern fremde Pianisten an meine Klavierstücke, da kommt nix Gutes raus nämlich 😀

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    1. @Philipp: Da fühle ich mich auf der technologischen Ebene ganz gut verstanden, danke. Es erinnert mich auch (allerdings „von der anderen Seite her“) an eine Debatte, die Johannes Kreidler (?) vor Jahren mal angezettelt hat. Das Arditti-Quartett hat durch spieltechnische Meisterschaft seit Jahren eine derartige Monopolstellung in der Interpretation Neuer Musik erreicht, dass (so wurde es kolportiert, ich kann das nicht nachprüfen, vielleicht kann Robert HP Platz mehr dazu sagen, der mit Irvine Arditti gut bekannt ist) einige Komponisten gleich direkt „für“ dieses Quartett komponieren. Kreidler monierte damals, dass dann leider auch alle diese Stücke relativ „gleich“ klängen (was nicht heißt, dass sie schlecht wären, aber, so habe ich damals Johannes verstanden, sie klängen eben alle „nach Arditti-Quartett“).

      Die Dominanz brillanter Interpreten trägt also hier letztendlich nicht unbedingt zur Steigerung ästhetischer Qualität bei, denn spieltechnische Meisterschaft und die Kreativität eines Komponisten müssen schließlich nicht unbedingt besonders viel miteinander zu tun haben (Nebenbemerkung: Dies scheint mir auch der tiefere Grund zu sein, warum die Minimalisten ihre Musik – zumindest zu Anfang – ausschließlich selbst spielen mussten – vgl. etwa „Steve Reich and Musicians“ -, 1976 hätte sich schlicht in der ganzen großen weiten Welt kein Ensemble oder gar Sinfonieorchester gefunden, das „Music for 18 Musicians“ hätte spielen können. Es brauchte Jahrzehnte, bis sich bsp.weise das Ensemble Modern dieser Komposition annahm.).

      Die „Abschaffung des Interpreten“ durch den ePlayer, wie ich sie seit Jahren praktiziere (und du momentan ja auch, Philipp, wenn ich das richtig sehe), ist also nicht mehr nur eine Notlösung (nach dem Motto: sonst spielt’s ja eh keiner, heul, schluchz, selbstbedauer), sondern zu einem guten Teil auch ein emanzipatorischer Akt. Und je länger ich diesen praktiziere, desto besser gefällt mir diese Lösung 🙂 Sie ist, um Harry Lehmann (frei) zu zitieren, ein „digitaler Bypass“.

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  5. @Stefan: Ich denke schon, dass sich ein an einer Musikhochschule lehrender Professor für Komposition mal mit den Denk- und Herangehensweisen von so einflussreichen Genres wie des Jazz oder Pop auseinandergesetzt haben sollte. Das ist wohl nicht zuviel verlangt, aber Platz hat das anscheinend nicht getan, sonst würde er sich nicht so uninformiert über Jazz und Improvisierte Musik äußern wie in seinem von dir bereitgestellten Text.

    Es hat mich auch sehr gewundert, dass er bei einem so ambitionierten und mutigen Titel gerade mal eine halbe DinA4 Seite braucht um seine Antwort zu formulieren. (Habe zuerst gedacht, ich hätte nur die Einleitung bekommen und verzweifelt nach dem Hauptteil gesucht). Der Text bietet auch keine belastbare Antwort, weder aus persönlicher und schon gar nicht aus wissenschaftlicher Sicht. Er wird somit der eigenen Fragestellung nicht im Ansatz gerecht.

    Sein Text ist meiner Ansicht nach ein wunderschöner Beweis für die Arroganz der Macht, denn natürlich muss man als lehrender Professor auch Sachgebiete „drauf haben“, die einen nicht interessieren (Was sollte denn da der Biologe- oder Physikprofessor sagen? Evolution und Relativitätstheorie ignorieren?). Schlimm nur, dass er dieses beschränkte Weltbild in seiner Funktion als lehrender Professor offensichtlich auch an seine Studenten weitergibt.

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    1. @Dennis: [Ich antworte hier in meiner Rolle als Moderator] Ich erteile dir hiermit eine Verwarnung wg. überzogener Polemik. Deine Kritikpunkte waren bereits vor obenstehendem Kommentar klar formuliert, durch verschärfte Formulierungen („uninformiert“, „Arroganz der Macht“, „beschränktes Weltbild“) machst du es aber dem Angesprochenen nahezu unmöglich, angemessen zu antworten. Nach der 3. Verwarnung werde ich dich (wie jeden anderen Diskutanten, dessen Beitrag – nach meinem Ermessen, denn ich bin der Betreiber dieses Blogs – überwiegend destruktiven Charakter hat) für diesen Thread sperren.

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  6. @Dennis

    — „dass er bei einem so ambitionierten und mutigen Titel gerade mal eine halbe DinA4 Seite braucht um seine Antwort zu formulieren.“–

    Eh, Kürze ist keine Schwäche. 😉
    Es gibt genug Essays, die viele Seiten lang sind, aber letztlich nichtssagend. Urteilen wir also nach Inhalt, nicht nach Länge.

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  7. Nur mal zwischendurch, Stefan. Du schriebst:

    Gerhard Richter (sinngemäß): “Wenn ich’s hätte sagen können, hätte ich’s nicht gemalt.”).
    Der Komponist, der gar keine Aussage über sein Tun macht, macht damit eben auch eine Aussage – er gibt sein Werk sozusagen “frei” (witzig ist, dass es eine Menge Künstler zu geben scheint, die sich immer erst dann – empört – zu Wort melden, wenn sie sich mal “missverstanden” fühlten. Also hatten sie doch immer schon klare Intentionen, hüteten sich aber wohlweislich, diese auch zu formulieren.

    In der bildenden Kunst (wie sicher auch in der Musik) äussert sich ein Künstler eher selten ausgiebig zu seinen Werken, meine ich – und oft zurecht. Durch eine Äusserung engt er das Werk naturgemäss ein, wirft bestenfalls eine Linie der Interpretation auf oder „legt sogar eine falsche Fährte“ .
    Wenn ich mir etwa Richters Oeuvre (meinst Du die Wischbilder?) ansehe, dann geht es ihm in manchen Werken nicht zentriert um ein gesellschaftliches Statement oder eine politische Aussage. Diese Inhalte mögen mitschwingen, beinhalten aber nicht alles. Vieles ist sogar eher ungreifbar, kommt aus Tradition, aus einem Fühlen und Sehen, was unter-bewusst ist oder halbbewusst. Man könnte dazu auch verkürzt sagen: Es malt aus mir.

    Abgesehen von der möglichen Fülle an Inhalt eines Werks würde ich mich auch hüten, immer etwas als Künstler dazu zu sagen. Manchmal würde ich karge Noten einwerfen oder beipflichten, wenn es zu einer Interpretation kommt. Ich würde mehr über die Technik reden und darüber, was mich auf meinem Weg gerade zu dieser Werkphase geführt hat.
    Zum anderen ist das geschliffene Wort eines, die Kunst eine andere Form des Ausdrucks. Wenn ich etwa im Golf einen perfekten Schlag kreieren kann, muß ich nicht im Einzelnen darlegen, welche Physik da im Einzelnen wirksam war.

    Das „geschliffene“ Wort ist per se und für sich eine Kunst und wenn es mir nicht wichtig ist oder „mit Gefahren behaftet“, dann muß ich mich auch nicht darum bemühen und lasse es lieber – oder belasse es nur bei Andeutungen.

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    1. @Gerhard: Wenn ich bsp.weise Neo Rauch und Norbert Bisky einer kryptofaschistischen Ästhetik bezichtigte und dies auch anständig begründen könnte und Rauch und Bisky würden aufstehen und sagen, nein, das geht nicht, das haben wir „nicht so gemeint“, wir würden diese Äußerung gerne verbieten lassen – dann ginge das nicht. Rauch und Bisky müssten eine solche Kritik (wenn sie seriös begründet und nicht einfach diffamierend wäre) schlicht ertragen.

      Die Kunst ist frei. Die Kunst*kritik* aber auch – und sie hat oft ganz andere (aber ebenso legitime!) Interessen als der Künstler.

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  8. Hallo Stefan,
    ich kenne die beiden Künstler nicht. (es gab mal eine Zeit, in der ich Ausstellungen wie Bierdeckel sammelte, sogar „einzeln“ weit fuhr, um etwa eine Asger Jorn Ausstellung zu sehen und nur diese und sonst nix. Auch lese ich keine Artnews, um über den neuen Markt informiert zu sein..Ich halte es schon lange wie eine Freundin von mir, daß ich nur gelegentlich und auch nur „ausgesuchte“ Ausstellungen besuche (etwa den guten Edward Hopper in Köln, um einmal unverfälscht seine Farben sehen zu können).

    Richtig! Künstler müssen Kritik vertragen. Wo kämen wir dahin, wenn jede Kunstäusserung ein reiner Volltreffer wäre. Je mehr ich in der Öffentlichkeit stehe, umso mehr muß ich mir Analyse gefallen lassen.
    Ich habe vor einiger Zeit eine 2,20 m hohe Plastik gemacht, hinter der jeder, wenn er will, einen Phallus sehen kann. Der Phallus war so nicht geplant – vielleicht ist er unterbewusst so entstanden. Egal wie: Dann habe ich eben im Garten einen Phallus stehen. Nun bin ich nicht berühmt, bekannt oder gekannt, daher wird sich keiner auslassen darüber. Sobald ich mich aber positioniere und Geltung erlangen möchte, bekomme ich „Geld“ zurück, das ist nun mal so..

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