„Medialismus“, Roman: 15. Kapitel

ralfcschusterDie blonde Bedienung machte es sich tatsächlich gemütlich, holte sich einen Klappstuhl, den sie neben meinen Clubsessel hinstellte und so saßen wir in der Mitte des Hofes mit dem besten Blick auf die Endlosschleifen. Sie verwickelte mich in ein Gespräch über die Stammkundschaft in ihrer Kneipe, zu der auch ich gehörte und das war ein schier unerschöpflicher Stoff. Am Anfang fand ich es sehr interessant, dann ergriff mich zunehmend die Ungeduld, denn ich fragte mich, wann Martin ankommen würde. Stattdessen trafen weitere Freunde und Bekannte ein, mit denen ich teilweise kurz plauderte, aber letztendlich saß ich immer wieder neben der blonden Bedienung in der Mitte des Hofes.

Gitarren-Hans hatte inzwischen keine Lust mehr, an den Reglern des Synthies zu drehen, andere Gäste wollten Musik hören, wieder andere forderten die Filmvorführung. Auf den dreihundert Kilometern von der Grenze bis zu uns konnte Martin einiges dazwischengekommen sein. Womöglich traf er erst um Mitternacht ein, solange wollte ich nicht warten. Darum holte ich den Camcorder in den Hof, um die Projektion abzufilmen, solange Gitarren-Hans am Synthie saß. Er drehte feinfühlig an den Filtern, so dass das Blubbern an Intensität gewann und wunderbar zu meinen Endlosschleifen passte. Auch wenn die Aufnahmen etwas lichtschwach waren: Als schließlich die blonde Bedienung als dunkle Silhouette vor den kreisenden Schatten tanzte, sah es sehr gut aus.

Ich wollte mit der Videoaufnahme meine Installation dokumentieren und es war gut, dass ich es vor Martins Ankunft tat, denn im Lauf des Abends riss die Super-8-Schleife und im 16-mm-Projektor brannte die Birne durch. Aber erstmal kamen zwei Autos voll mit Stammgästen der Szenekneipe, von denen mir die blonde Bedienung erst kurz zuvor diverse Details erzählt hatte. Sie kamen johlend mit zwei Bierkästen in den Hof. Ganz schön prollig, dachte ich mir, aber ich ließ zur Einstimmung einen meiner lustigen Zeichentrickfilme laufen, das gefiel ihnen. Den Synthie schalteten wir ab. Stattdessen legte Tina frühen Elektro-Punk auf den Plattenteller. Das war zwar keine Konsensmusik, weil ein Großteil der Landbevölkerung musikalisch immer noch in den 70er-Jahren steckte, trotzdem war die Stimmung prima. Zwischendurch zeigte ich ab und zu einen meiner frühen Filme. Schließlich fädelte ich auch „Die Rückbesinnung“ ein, die nach meiner ursprünglichen Planung erst nach Martins Ankunft laufen sollte. Es war schon halb zwölf, die Gäste betrunken, lange konnte ich nicht mehr warten. Aber, als hätte ich eine Vorahnung gehabt, tauchte kurz vor der Schlussszene ein ankommendes Auto den Hof in grelles Licht und als der Abspann lief, traten Martin, Achim und ein Unbekannter in die Scheune.

Sie erkannten, dass es ihr Film gewesen war und die Gäste erkannten die Hauptdarsteller, was auf beiden Seiten Begeisterung auslöste. Wir umarmten uns zur Begrüßung und ohne viel zu reden, waren wir uns sofort einig, dass ich gleich den falschen Film einlegen sollte, den Film, bei dem nichts zusammenpasst und eigentlich passte das ja wirklich nicht, es passte eben auch nicht zu den sogenannten normalen Zuschauern, aber diesmal, da war das eben anders, denn schon in der ersten Szene machte Martin flüsternd einen Witz, woraufhin Achim und der unbekannte Dritte laut lachten und ab diesem Moment fanden die drei alles, was in dem Film passierte, umwerfend witzig und grölten und klopften sich auf die Schenkel, was auch die anderen dazu animierte, alles irrsinnig lustig zu finden, und schließlich verstand man kaum noch die absurden Dialoge, weil das Publikum außer Rand und Band war, so dass ich den Film gleich nach dem Zurückspulen noch einmal einlegte und wir schauten ihn mit der gleichen Begeisterung zum zweiten Mal an. Martin und Achim begeisterten sich genauso, wie damals bei der Rückbesinnungs-Premiere in Martins Wohnung, damals, als wir uns so sehr über die Idee amüsierten, was wir falsch machen könnten und jetzt amüsierten wir uns, was ich alles falsch gemacht hatte.

Ab und zu fiel eine abfällige Bemerkung über die „Ars Electronica“ oder über die Gepflogenheiten der wichtigen Künstler in Berlin, Seitenhiebe gegen oder zynische Kommentare über das große, verkopfte Kulturestablishment, zu dem Martin, Achim und der unbekannte Dritte, von dem ich am nächsten Tag erfuhr, dass er Stefan hieß und ein Studienkollege Martins an dieser digitalen Kunstakademie war, leider noch nicht gehörten. Später vermutete ich, dass die digitalen Erstsemesterkünstler nach der schwierigen Eingewöhnung in die Verhältnisse in der Metropole und einem Trip zur elektronischen Weltkultur endlich aufatmeten, denn hier, zwischen den Rüben- und Getreideäckern, in der aus Muschelkalk gemauerten Scheune unseres bescheidenen Bauernhofes war die Hierarchie der Verhältnisse plötzlich auf den Kopf gestellt oder vielmehr: wieder zurück auf die Füße.

In meinem Film war alles falsch, doch die Vorführung rückte es in die richtige Rangordnung, in unsere Rangordnung. Die Dreierbande aus Berlin hatte sich schon durch die Ankündigung ihres Kommens mit mir verbündet und gemeinsam konnten wir die Stimmung des Abends kontrollieren und das taten wir genussvoll. Hier waren wir die Kulturelite. Es gab schließlich noch die Vorführung einer meiner kurzen Super-8-Klassiker, „Sulos Tod“, der ausschließlich zeigte, wie ich eine Mülltonne zerstörte, nichts Besonderes, aber emotional effektiv. Tina kam auf die Idee, dass wir auch noch eine alte Mülltonne dahätten und deshalb drückte ich Martin den Camcorder in die Hand, damit er meine Performance filmte, positionierte den Scheinwerfer, der den ganzen Abend nur dazu gedient hatte, den Schatten der Filmspule zu erzeugen, und dann steigerte ich mich in einen gespielten Gewaltexzess hinein.

Ich drosch mit dem Vorschlaghammer auf die Mülltonne ein, bis sie nur noch ein Klumpen verbeulten Blechs war. Die anderen feuerten mich an und grölten, wenn mir ein Schlag gelang, der die Tonne deutlich verformte. Es machte einen Heidenlärm. Zwischendurch bekam ich es mit der Angst zu tun, die Nachbarn könnten uns die Polizei auf den Hals hetzen, aber da unser Gehöft etwas abseits stand, schien im verschlafenen Dorf niemand das Bedürfnis zu verspüren, uns den Spaß zu verderben. Ich zog mir den Pullover aus und keuchend und schwitzend schlug ich auf die verbeulten Überreste der Mülltonne ein. „Sulos Tod“, Version 2. Diesmal mit dem Originalton.

Die erste Version, die wir ein paar Jahre zuvor in einem Steinbruch gedreht hatten, war vollständig nachsynchronisiert worden. Im Bild schlug ich wie ein Wilder mit der Axt auf die Tonne ein, aber die Geräusche hatte ich im Keller meiner Eltern mit einigen Blecheimern und einem normalen Hammer erzeugt. Bei der Videoaufnahme in der Scheune knallte es hingegen richtig und das Raunen und Jubeln der Zuschauer war auch mit auf der Tonspur. Wir, also Martin und ich, schauten uns einen Teil der Zerstörungsorgie im Sucher der Kamera an, der sie nur schwarzweiß und stumm wiedergab, trotzdem waren wir hellauf begeistert. Von allem. Nicht nur die Aufnahme, sondern auch das Zusammentreffen, die Übereinstimmung, der Konsens und die Freundschaft. Und alles andere auch noch, und jetzt konnten wir uns endlich einfach unterhalten, über meine Aufgaben als Kameramann und Martin über seine Akademie und Achim über geheime Kellerbars in Ostberlin und Stefan über die „Ars Electronica“.

Jetzt war Schluss mit der Angeberei, wir wollten schließlich erfahren, was in der Zwischenzeit passiert war. Das Reizthema Sabine hatte ich dabei völlig vergessen, aber Martin erzählte ganz beiläufig, dass er mit ihr schon längst nicht mehr zusammen sei, das wäre ja nur so eine kurze Sache gewesen und eigentlich … er überlegte, rückte aber nicht damit heraus, was er Schlechtes über sie sagen wollte. Mir war es egal, ich war sowieso gerade sehr euphorisch und hin und wieder wechselte ich einen Blick mit der blonden Bedienung. Als Martin sich dann in eine zu lange und zu komplizierte Abhandlung über Bildbearbeitung mit Computern hineinsteigerte, konnte ich beim besten Willen nicht mehr folgen, seilte mich ab und fand wieder den Platz in der Mitte des Hofes, wo sich die blonde Bedienung auch gleich neben mich setzte. Jetzt erzählte ich ihr über meine Filme, was ein ebenso unerschöpfliches Thema war wie ihre Stammgäste. Aber es gelang uns, verbale Ausschweifungen zu vermeiden und relativ bald lagen wir bei mir im Bett, während die Party draußen langsam leiser wurde.


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4 Kommentare zu „„Medialismus“, Roman: 15. Kapitel

  1. Der Kelch der Sabine wird trotzdem nicht an dem Helden vorbeigehen! Noch erfreut er sich im Kreise seiner trunkenen Freunde seiner Freiheit und seiner Unbeschwertheit, doch das trügt auf lange Sicht.
    Wie wäre es, um alles Mögliche zu bannen, wenn der Held schon mal einen fiktiven Film drehen würde, mit ihm und einer fiktiven Sabine als Cast. Das würde dramaturgisch wunderbar zu einer darauf folgenden Echt-Episode mit ihr „zusammenkommen“. Eine Art Gesamtkunstwerk! Eine filmische Nachschau könnte man dann auch folgen lassen.

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  2. @Gerhard: Wunderbar, dass „Medialismus“ dich so anregt, lieber Gerhard, aber auch diesen Film wirst du wohl selber machen müssen, da der Autor, wie ich aus erster Hand weiß, schon sehr weit fortgeschritten ist mit dem Verfassen des Romans 🙂

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