„Medialismus“, Roman: 29. Kapitel

ralfcschusterMarianne war also aus Berlin verschwunden und ließ mich mit der schwierigen Frage zurück, wie ich die Lücke schließen sollte, die sie hinterließ. Aber es gelingt sowieso nie, die sozialen Strukturen frei nach Wunsch zu gestalten. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sofort die nächste Künstlerin auftauchen können, aber es kam nur die kleine Tina vorbei. Die hatte zwar auch das unbändige Verlangen, etwas Kreatives zu tun, am besten mit der Super-8-Kamera, doch dieses Verlangen unterdrückte sie offensichtlich problemlos. In all den Jahren, die ich inzwischen in Berlin wohnte, war bei ihr noch nichts passiert, was aber, wie sie sich herausredete, der Tatsache geschuldet sei, dass die große Tina nicht gekommen war, wie sie es ursprünglich versprochen habe.

Ich traf die kleine Tina im Hinterhofkino und hätte sie fast nicht erkannt, vielmehr überlegte ich gerade, wie ich sie ansprechen könnte, weil ich sie außerordentlich attraktiv empfand. Bevor mir etwas einfiel, fragte sie mich, ob ich mich noch an sie erinnern könne. Sie hatte inzwischen rote Haare und eine eigentlich veraltete New-Wave-Frisur, vorne lang und hinten den Nacken ausrasiert, was ziemlich gut zu ihr passte.

Sie sei damals, als wir die Kameras getauscht hatten, gerade mit einem neuen Freund aus Indien zurückgekehrt. Der habe sie dann in den Prenzlauer Berg entführt. Nun habe sich das erledigt. Vor ein paar Monaten habe sie es endlich geschafft, den Untermieter aus ihrer eigenen Wohnung rauszukriegen und jetzt wohne sie wieder um die Ecke vom Hinterhofkino, und es sei ja toll, dass ich da mitarbeite, während sie, das müsse sie leider gestehen, zu Hause immer noch die Filme liegen habe, die ich ihr damals gegeben hatte. Ob die denn überhaupt noch haltbar seien und was ich mit ihrer, oder vielmehr mit meiner 16-mm-Kamera inzwischen alles gemacht habe, wollte sie auch wissen.

Deshalb gab es für mich viel zu erzählen. Ich stand hinter der Bar, musste aber an jenem Abend zwischendurch immer wieder mal in den Vorführraum, wodurch ich besonders wichtig wirkte. Tina wiederum hatte eine halbwegs hübsche, aber langweilige Arbeitskollegin dabei, mit der sie eigentlich einen Film ansehen wollte, der aber gar nicht mehr lief. Das gab mir die Gelegenheit, Tina zu erklären, was sie verpasst hatte, denn ich kannte den Film und mochte ihn. Die Arbeitskollegin sagte kaum etwas. Wenn ich zwischendurch verschwand, um der neuen Praktikantin beim Filmrollenwechsel beizustehen, hatte Tina Gelegenheit, sich mit ihrer Begleitung zu unterhalten. Dann kam ich zurück, übernahm wieder die Theke und das Gespräch.

Ich versuchte, mit einigen Fragen die Kollegin mit einzubeziehen, aber es war Tina, die immer wieder den Bogen zurück zu meinen Filmen oder meinen Filmkameras schlug. Irgendwann verabschiedete sich die Kollegin. Es war schon spät und beim letzten Rollenwechsel nahm ich Tina mit in den Vorführraum, wo die Projektoren vor sich hinschnurrten und die großen Spulen bis knapp unter die Decke des vollgestopften Raumes reichten. Es roch nach Zelluloid und den Geheimnissen, die dieses Material umschwirren. Zum Beispiel jenes, dass Filme längst nicht mehr aus Zelluloid sind, da es sich dabei um ein extrem feuergefährliches Material handelt. Als wir uns an den Projektoren vorbei zur Steuereinheit schlängelten, berührte mich Tina sehr auffällig. Die pickelige Praktikantin, die ja inzwischen kapiert hatte, wie man von einem Projektor zum anderen überblendete, schaute Tina skeptisch an, aber es war mit dem Hinterhofkinoprogrammdirektor verabredet, dass ich an ihrem ersten Abend alle Überblendungen zu überwachen hatte und inzwischen waren wir bei der letzten.

Die Spule, die jetzt startete, war das langweilige Ende eines angeblich epochalen neorealistischen antifaschistischen Dramas aus den italienischen 1950er-Jahren. Irgendein Institut für cineastische Weltkultur hatte eine frische Kopie spendiert, die jetzt in allen wichtigen Hinterhofkinos der westlichen Welt vor durchschnittlich fünf Zuschauern pro Vorführung lief. Die pickelige Praktikantin würde später vier Kartons mit jeweils über 30 kg Gewicht die schmale Treppe runtertragen müssen, weil die Kopie noch am Abend abgeholt werden sollte. Ich hätte ihr gern dabei geholfen, wenn die ersten drei Filmrollen schon zerteilt und verpackt gewesen wären, aber sie meinte, das mache sie lieber am Schluss, wenn der Film zu Ende sei. Ich hingegen erhoffte mir, zu diesem Zeitpunkt mit Tina in ihrer um die Ecke liegenden Wohnung bereits intim zu werden. Letztendlich klappte das dann nicht, weil Tina mir zwar zum Abschied einen Kuss verpasste, mich aber mit einem undeutlichen Gemurmel, dass sie dringend schlafen und am nächsten Morgen früh raus müsse, an der entscheidenden Straßenkreuzung in Richtung U-Bahn schickte.

Ein paar Wochen später war es dann soweit, da nahm sie mich mit zu ihr nach Hause und ich genoss es sehr, ihren schönen Körper zu berühren. Am Tag davor hatte ich meinen persönlichen Rekord gebrochen und 18 Stunden lang am Stück gearbeitet. Anschließend war ich in eine Bar gegangen, in der ich mich mit großzügig eingeschenkten Whiskys beruhigte. Ich schlief lange, trank nachmittags mit Henry und Ulrich Kaffee und als ich Hunger bekam, telefonierte ich mit Tina, um zu fragen, ob sie Lust auf Pizza hätte. Hatte sie nicht, aber stattdessen gingen wir am frühen Abend in das überteuerte Restaurant für vegetarische Spezialitäten, tranken guten Wein und dann war die Zeit reif für den ersten gemeinsamen Geschlechtsverkehr, der bei ihr vollzogen wurde.

Wir fühlten uns beide wunderbar frisch verliebt, knutschten lange. Trotzdem war es noch so früh am Abend. Da gingen wir in wunderbarem Einverständnis um halb zwölf wieder raus ins Nachtleben, sie trank Sekt, ich Campari. In unserer übermütigen, guten Laune quatschten wir mehrere Leute an, die sich an der Theke langweilten und verwickelten sie in eine Diskussion über die von mir aufgestellte These, dass wir im Kulturüberfluss leben würden, was der Kultur einen gewichtigen Teil ihres Wertes raube. Es zeigte sich, dass fast alle Typen, die in der Bar herumlungerten, sich zum Kulturbetrieb zugehörig fühlten, was zwar meine These stützte, aber die Diskussion nicht leichter machte.

Schließlich begegnete Tina meiner Forderung nach kultureller Verknappung mit der Forderung nach mehr Sex für Frischverliebte. Wir kehrten zügig in ihre Wohnung zurück, wo ich erneut ihren Körper genießen konnte. Sie sagte mir, sie habe beschlossen, alles gut zu finden, und das werde sie jetzt auch tun. Die Dinge, die Menschen und die Verhältnisse gut zu finden, sei sehr angenehm, und vor allem sei es jetzt erst einmal ihr Bedürfnis, mich gut zu finden. Obwohl ich doch gar nicht hübsch sei, obwohl ich auch nicht erfolgreich sei, obwohl ich immer so viel über Technik reden würde und obwohl mein Schwanz inzwischen schlapp herunterhinge. Das mache mich alles nur noch liebenswerter.

Ich fand nicht heraus, wo ihre Ironie begann, aber ihre Erläuterungen zur Welt waren in einer unbekannten, faszinierenden Weise kritisch und positiv zugleich. Oder war sie einfach zu hübsch, als dass ihr Gerede bei mir die übliche Esoterikwarnung hervorgerufen hätte? Aber auch später, als ich nicht mehr so geblendet von ihrem mit lässigem Schwung hingeworfenen nackten Körper war, konnte ich mich an ihrem unergründlichen Humor erfreuen. Ich glaube, sie hatte ein gutes Gespür für den Zeitgeist, den sie feinsinnig negierte. Künstlerin war sie keine. Sie interessierte sich für fast alles, was damit zu tun hatte. Sie wäre gern drin gewesen im System, aber ihr fehlte der Antrieb. Da war kein Bedürfnis, schöpferisch tätig zu sein, nur das Bedürfnis, dazuzugehören und mir zuzuhören, sich alles Mögliche von mir erklären zu lassen.

Das war schmeichelhaft für mich und ich wusste es zu schätzen, aber es war etwas völlig Anderes als die Zusammenarbeit mit Marianne, die erst einmal für Jahre verschwunden blieb, sich nicht meldete und sogar ab und zu in Berlin vorbeikam, ohne sich auf ein Treffen mit mir einzulassen. Es sollen wohl immer wichtige Besprechungen mit Literaturagenten und Theaterdramaturgen gewesen sein, während ich mich immer tiefer in die Subkultur hineinmanövrierte, was mir durch die hübsche, kleine Tina versüßt wurde.

Wozu Karriere, wenn man schon die hübscheste Freundin hat, die man sich vorstellen kann? Vielleicht, um eine Sicherheitsreserve zu schaffen, falls diese Freundin verschwindet oder älter wird? Oder um diese hübsche Freundin bei der Stange zu halten? Vielleicht aus Gewohnheit? Eine Gewohnheit, die aus dem künstlerischen Profilierungsdruck erwächst?

Auf jeden Fall strampelte ich mich ganz schön ab. Ein Filmchen hier und ein Filmchen dort, ab und zu eine Lesung. In New York war inzwischen irgendjemand auf die Idee gekommen, dass man Dichtung nicht nur in Denkerpose am Tisch vortragen könne, sondern dass es viel zeitgemäßer sei, eine mehr oder weniger effekthascherische Show daraus zu machen, die als Poetry Slam zu bezeichnen sei. Dabei schürt man die sowieso zwischen den Künstlern vorhandene Konkurrenz durch eine Publikumsabstimmung, die darüber entscheidet, wer sich als Gewinner des Abends fühlen dürfe. Angeblich, so behaupteten die Medien damals, seien die Slammer in New York extrem bedürfnislos, überambitioniert und so poesiefixiert, dass sie sich damit zufrieden gäben, wenn der Sieger einen Drink umsonst bekäme.

Als der Trend nach Berlin schwappte, sprang ich gleich auf den fahrenden Zug, denn es entstanden zu der Zeit mehr Texte, als ich bei meinen Filmvorführungen lesen konnte. Obwohl ein Slam spontan durch die Anwesenheit der Poeten sein Programm entwickelte, gab es immer einen Organisator und Moderator. Einige von ihnen pflegten die lobenswerte Gewohnheit, den Inhalt der Eintrittskasse mit den Slammern zu teilen. Andere steckten sich alles in die eigene Tasche und im schlimmsten Fall gab es nicht mal Freigetränke. Bei solchen Veranstaltungen trat ich, wenn überhaupt, höchstens einmal auf.

Zur gleichen Zeit entwickelten sich die sogenannten Lesebühnen, quasi ein Instant-Kabarett, wozu man keine amerikanischen Vorbilder brauchte, aber ein paar Freunde. Die Lesebühnen bestanden in der Regel aus einer festen Gruppierung von Schreiberlingen, einem festen Wochentag und einem festen Ort. Die Schreiberlinge saßen auf einer Bühne und wechselten sich mit dem Vorlesen ihrer frisch geschriebenen Texte ab. Die meisten handelten davon, dass die Welt feindlich, kapitalistisch oder ungerecht sei, was aber den Ich-Erzähler nicht aus der Bahn werfen könne. Die bevorzugten Schauplätze dieser Geschichten waren die entsprechenden Mikrokosmen der alternativen Lebenswelt, vor allem die im Osten, wobei der Ton der Erzählungen so gewählt war, dass diese Szenerie als die die normale hingestellt wurde. Touristen, Investoren und Behörden waren hingegen die Aliens, die in diese vermeintlich funktionierende Welt einzudringen versuchten, um sie zu zerstören. Dieses typische Erzählschema der Lesebühnen traf auch auf viele meiner Geschichten zu. Deshalb konnte ich mich dort problemlos als Gastautor bei einzelnen Veranstaltungen einschleichen, aber ich gehörte zu keiner festen Gruppierung. So viele Texte, dass ich jede Woche etwas Neues hätte vortragen können, schrieb ich auch wieder nicht.

Filme drehte ich allerdings noch viel weniger, da schaffte ich, unter optimalen Bedingungen, vier Fünfminüter pro Jahr. Mit Kurzfilmen durch die Subkultur zu ziehen, war eigentlich extrem uneffektiv. Aber inzwischen waren auch schon einige der tschechischen 16-mm-Filmprojektoren kaputtgegangen und mir schien, als seien die Filmabende in den kultur-aktivistischen Kneipen bereits auf dem Rückzug. Sogar im Hinterhofkino sprach der Programmdirektor davon, dass er darüber nachdenke, sich einen Videobeamer zu besorgen. Das fand ich gar nicht schlecht, denn gemeinsam mit Martin hatte ich ein paar Videominiaturen am Computer erzeugt, von denen ich gar nicht wusste, wie ich sie in der Öffentlichkeit zeigen sollte. Ich hatte also überall meine Finger im Spiel und fragte mich, ob ich nicht gerade dabei war, mich zu verzetteln.

Ach was! meinte Tina, ich solle alles machen, was gehe, das sei der einzige Weg. Wir saßen an einem Biergartentisch neben einer Markthalle und aßen Schnitzel. Achim war auch mal wieder dabei. Tina fragte mich, wieso meine Filme so selten auf Festivals liefen. Ich sagte, dass sie nur dann laufen könnten, wenn ich sie hinschickte und mich bewerben würde. Ob ich das denn machen würde? Ich sagte, nein, das mache ich nicht. Warum denn nicht? Weil ich es nicht leiden könne. Außerdem könne ich es auch nicht leiden, Anträge für Förderungen zu stellen. Wenn ich so einen Antrag nur sähe, überfalle mich eine Depression. Deshalb sei es mir auch nie gelungen, ihn auszufüllen.

Ich wandte mich an Achim, ob er denn inzwischen irgendeine Förderung für seinen Drehbuchentwurf, den wir gemeinsam ausformuliert hatten, in die Wege geleitet habe. Achim gab nicht zu, dass er das vor sich herschob oder aus mangelnder Nervenstärke daran gescheitert war. Er behauptete, er müsse noch einen anderen Anfang für den Film finden und die Rolle der U-Bahnzugführerin klären. Das klang so, als hätten wir unseren Entwurf vor einer Woche beendet und er würde das Exposé nächste Woche fertig stellen. Dabei war Marianne schon vor eineinhalb Jahren weggezogen. Damals hatten wir den Entwurf ausgedruckt und Achim überreicht. Die Jahre gingen ins Land und nichts passierte. Trotzdem unterdrückte ich den kritischen Kommentar, der mir auf der Zunge lag.

Dann überraschte mich Achim, denn er erzählte etwas, was mir noch unbekannt war: Angeblich habe er damals die Anträge für Marianne geschrieben, zum einen jenen, der zu ihrem Stipendium in der Uckermark geführt habe und danach habe er ihr nochmals geholfen, was wiederum einem positiven Bescheid nach sich gezogen habe. Eigentlich sei es ganz einfach gewesen. Es war einfach, weil wir keinerlei Zweifel daran hatten, dass Marianne die Richtige für ein Stipendium war, sagte ich und Tina fragte, ob oder wieso wir denn bei uns selbst zweifeln würden?

Wir sind notorische Zweifler, brummte Achim. Ich wusste gar nichts zu sagen. Das ist unsere einzige Qualität. Alles anzweifeln, alles besser wissen, wir sind das Gegenteil derjenigen, die etwas gut finden. Nur Schnitzel mit Bratkartoffeln sind über die allgegenwärtigen Zweifel erhaben. Dann steckten wir uns beide ein dickes Stück Fleisch in den Mund und warteten vergeblich darauf, dass Tina einen Kommentar bezüglich der Vorteile vegetarischer Ernährung von sich gab. Sie ließ sich nicht so schnell aus dem unliebsamen Thema vertreiben und versuchte, uns zu überzeugen, dass es unter den gegebenen Umständen am besten sei, wenn ich Achims Anträge und Achim wiederum meine Anträge schriebe. Das wollten wir aber auch nicht. Ohne Angabe von Gründen, denn es gäbe keine, behaupteten wir beide.

Stimmte natürlich nicht, denn ich für meinen Teil war mir einfach zu fein, Achim einen Antrag zu schreiben, er hatte schließlich überhaupt keine Reputation Aber indem ich an das bedeutungsschwangere Wort Reputation dachte, verfiel ich in einen Selbsthinterfragungsprozess. Ich sagte mir, dass ich doch eigentlich selbst wissen solle, was GUT und was SCHLECHT sei, aber indem ich mich auf die Werturteile bzw. die fehlenden Werturteile anderer und womöglich, indem ich die sogenannte Reputation ins Spiel bringe, sogar auf die Werturteile der ungeliebten Kulturinstitutionen und Kunstbehörden verlasse, erweise ich mich als ästhetischer Schwächling. Andererseits schien mir eine völlig selbstbezogene Bewertung unangemessen, zum Beispiel, wenn ich sagte: ICH finde das gut, deshalb IST es gut.

Es fiel mir ein, wie oft sich Leute im Kulturbetrieb dafür rechtfertigten, dass sie das, was als niedere Unterhaltungskultur gilt, GUT finden. Oft genug mit der Begründung, es hätte ihnen damals, als sie jung und ästhetisch ungebildet waren, gut gefallen und deshalb würde es ihnen jetzt wieder gefallen. Das widerspricht sich zwar, wird aber ständig argumentativ verwendet. Trotzdem fragte ich mich, was denn nun überhaupt GUT sei, aber dann sagte ich mir, dass ich, vor allem ich, das gar nicht wissen könne, denn wenn ich es wüsste, würde ich es machen, und dann wäre alles viel einfacher. Außerdem war Achims Drehbuchidee mit dem Taxifahrer schlicht und ergreifend Quatsch.


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18 Kommentare zu „„Medialismus“, Roman: 29. Kapitel

  1. halbwegs hübsche picklige Praktikantinnen – die Welt ist voll davon, angefangen in Washington im oral office (huch-Tippfehler?). Aber erstens freuen wir uns, dass unser Held wieder kontemplativ kuscheln kann und zweitens kann jetzt jeder für sich selbst darüber philosophieren, ob er Karriere aus Gewohnheit macht, der Gewohnheit, die aus dem künstlerischen Profilierungsdruck erwächst. Ich für meinen Teil genieße nach wie vor meine Samstagsvormittagsgewohnheit…völlig ohne Profilierungsdruck 😉

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  2. Witzig und witty.
    Es genügt also ein kleiner Anrempler, um die Hauptfigur zu dirigieren 😉 Tina scheint auch eine Version von Sabine, was Kreativität anbelangt, zu sein.

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  3. @Gerhard: soll jetzt keine Kritik an Dir sein, aber ich würde die Formulierung „berührte mich Tina sehr auffällig“ mit dem nachfolgenden Hinweis auf den skeptischen Blick der pickeligen Praktikantin hier eher nicht als kleinen Anrempler, sondern vielmehr schon etwas eindeutigere Berührung verstehen, wenn man nicht schreiben will, wo sie nun direkt rangefasst hat. Außerdem hatten wir das ja schon mal mit dem Bedienen von Männerfantasien ;-). Und ebenfalls nicht zu vergessen, dass unser Held die arme Tina ja bei dem Deal mit der Beaulieu schon ein wenig über den Tisch gezogen hat und ihr noch was schuldet…

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  4. @Volker: Na ja, Männerfantasien im klassischen Sinne werden bei Schuster ja grade nicht bedient, vielmehr scheint er mir (indirekt) lediglich auszudrücken, dass Intimbeziehungen zwar zum Leben gehören, man ihnen aber auch keine allzu große Bedeutung zumessen sollte – Freundschaften scheint der Autor höher zu schätzen (auch die zwischen Mann und Frau!).

    Ich empfinde diese Haltung als sehr angenehm – gerade weil sie „unromantisch“ ist („romantisch“ hier im heute üblichen, ganze Industrien nährenden Sinn von „Es muss nur der/die Richtige kommen, dann hat mein Leben endlich einen Sinn!“ verstanden).

    Der Protagonist des Romans, so viel kann man, denke ich, jetzt schon sagen, geht ja grade nicht davon aus, das ihm „das Leben“ schon irgendwie von selbst sinnvoll entgegenkommen wird: Er muss selber was dafür tun, und zwar permanent. Die anderen Menschen sind dabei mehr oder minder zweckdienlich. Es ist ihm in keinster Weise egal, wie die anderen seine eigenwilligen Lebenssinn-Konstruktionen beurteilen, aber er macht sich auch nicht von deren Wohlwollen abhängig. Es scheint eher so zu sein, dass er sich Menschen sucht, die seinem grade aktuellen „Paradigma“ entgegenkommen, um sich wohlzufühlen. So gesehen, demonstriert „Medialismus“ eine Art „konstruktivistischen Existenzialismus“ (sorry, der musste jetzt raus 😉 ).

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  5. @Stefan: ganz recht, ganz recht, mein Bester! Kann man heute ja schon gleich zu Beginn lesen: „Aber es gelingt sowieso nie, die sozialen Strukturen frei nach Wunsch zu gestalten.“ Sehe ich ganz genauso, drum mein 😉

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  6. @Volker, muß man „ganz“ eindeutig berührt werden, um „gelenkt“ zu werden und sich „fallen zu lassen“? Ganz so unkreativ wird Klein-Tina ja nicht sein oder? Muss man gleich mit der Tür ins Haus fallen?
    @Stefan: „Der Protagonist geht ja grade nicht davon aus, das ihm “das Leben” schon irgendwie von selbst sinnvoll entgegenkommen wird: Er muss selber was dafür tun, und zwar permanent“.
    Naja, in dem Fall kommt ihm Klein-Tina schon prall-voll selber entgegen, rührt ihn gleich an, legt ein kleines nettes Feuerchen, das sich ein paar Wochen später vollends zur Flamme entwickelt. Bei allem ist dem Protagonisten schnurzegal, ob Tina kreativ ist oder nicht, überhaupt scheint keine besondere Charaktereigenschaft (somit egal, was und wer sie ist,was sie einbringt an Ton und Farbe. Hauptsache sie bedient schön treulich männliche Fantasien (wo ich wieder bei @Volker bin – und mit ihm). Überspitzte Darstellung von mir, aber wo sind die Gegenargumente?

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  7. Da hat der Texteditor meinen kleinen Absatz zusammengeschnurrt: es sollte in etwa heissen:
    Bei allem ist dem Protagonisten schnurzegal, ob Tina kreativ ist oder nicht, überhaupt scheint keine besondere Charaktereigenschaft durch. Sozusagen ist egal, was und wer sie ist, was sie einbringt an Ton und Farbe.

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  8. @Gerhard: Ich antworte auf Deine Fragen mal mit einem entschiedenen „Kommt drauf an!“;-) Das gefällt mir am heutigen Kapitel nämlich ganz besonders, dass der Autor das „Knistern“ so lebendig darstellt:

    „Ich traf die kleine Tina im Hinterhofkino und hätte sie fast nicht erkannt, vielmehr überlegte ich gerade, wie ich sie ansprechen könnte, weil ich sie außerordentlich attraktiv empfand. Bevor mir etwas einfiel, fragte sie mich, ob ich mich noch an sie erinnern könne.“

    Heißt für mich erstmal, dass das Interesse auf beiden Seiten war. Von daher wird Klein-Tina sicherlich kreativ gewesen sein, denn wenn sie „mit der Tür ins Haus gefallen wäre“, hätte sie möglicherweise auch das genaue Gegenteil erzielen können. Aber ist doch schön, dass sich die beiden offensichtlich im richtigen Moment wieder begegnet sind und es, da gebe ich Dir recht, schnurzegal ist, wie weit Tinas Kreativität reicht. Denn das macht uns der Autor in diesem Kapitel ja deutlich, dass Tinas Interesse und ihr Bedürfnis, „dazuzugehören“ und sich vom Protagonisten alles erklären zu lassen, den Ausschlag geben, sie ihn aber gleichzeitig, wenn man so will, in die Sinnkrise stürzt, wenn er sich fragt:

    „Wozu Karriere, wenn man schon die hübscheste Freundin hat, die man sich vorstellen kann?“

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  9. @Volker, Mir ist grundsätzlich nicht schnurzegal, „wie weit Tinas Kreativität reicht“.
    Der hier vorgestellte Gedanke der „hübschesten Freundin, die man sich vorstellen kann“ ist nicht ernst zu nehmen (eine solche Kategorisierung passt nicht zum Autor), ausserdem merkt der Protagonist an, daß sie ja auch, o Wunder, älter werden kann.
    Überhaupt: Einst war Klein-Tina vollkommen blass, in ihrem übergroßen Schlafgewand. Wieso ist sie jetzt zur bildhübschen Frau mutiert? Ich denke, das ist Schalk…der Autor ändert auch mal gern ein wenig die Charaktere, um einen neuen Handlungsstrang aufziehen zu können. Finde ich gut, übrigens.

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  10. @Gerhard: Der Protagonist begehrt die kleine Tina als Frau. Ob sie auch als Künstlerin interessant ist, ist für ihn zu diesem Zeitpunkt zweitrangig. Mehr gibt’s dazu, denke ich, an diesem Punkt der Geschichte nicht zu sagen.

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  11. „und ich genoss es sehr, ihren schönen Körper zu berühren.“ Und: „wo ich erneut ihren Körper genießen konnte.“ Solche Formulierungen gehen gar nicht, das ist nicht mal platt oder abgedroschen, sondern einfach nur schlecht.

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  12. @Robert: Mann, bin ich gespannt auf deinen nächsten Roman, vor allem, weil er ja ganz sicher komplett ohne Formulierungen auskommen wird, die „gar nicht gehen“! Außerdem freue ich mich, dass du erst jetzt die erste „nicht einmal mehr platte, sondern einfach nur schlechte“ Formulierung gefunden hast. Das heißt ja im Umkehrschluss, dass die bisherigen 28 Kapitel ganz o.k., waren – oder hast du da nur nicht kritisch genug hingesehen? Hm, ich denke, da musst du noch mal ran…

    Möglich wäre natürlich auch eine komplette Durchforstung des bisherigen Textes auf „ungangbare“ (sagt man so?) Formulierungen diesseits des „Schlechten“ bzw. deren Neu-Formulierung. Bock?

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    1. Das muss das Lektorat machen, dafür wird es bezahlt, obwohl ich grundsätzlich nichts dagegen hätte, die einzelnen Kapitel mal mit Ralf durchzugehen, aber in diesem Stadium würde das eher kontraproduktiv sein, und das möchte ich nicht.. Und ja, ich finde Ralfs Romanentwurf lesenswert und würde ihn auch weiterempfehlen. Ich sehe es erst mal auch nur als eine Rohfassung, die mehrere Überarbeitungen benötigt, aber Formulierungen wie – ich genoß ihren Körper – das ist doch unter aller Sau, da muss man sofort einschreiten. Das ist Erotik für Finanzbeamte. Erotik zu beschreiben ist sehr schwer und im Zweifelsfall sollte man das lieber weglassen oder nur andeuten. Mir sind ganz viele Kleinigkeiten beim Lesen der Kapitel aufgefallen, wo ich denke, da könnte man mehr draus machen, aber, wie gesagt, darum geht es in diesem Stadium überhaupt nicht, Ralf muss erst mal weiter und zuende schreiben.

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  13. Obwohl diese Finanzbeamtenerotik natürlich seinen Reiz hat, aber dann muss man es von vorne bis hinten durchziehen. Deswegen: Rohfassung. Einfach weiterschreiben.

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