Guter Vortrag über Depression – und ein psychologisches Resümee in eigener Sache

(aus gegebenem Anlass [04. – 07.04.2016])

Technischer Hinweis: Über den zweiten Button von rechts unten im Videofenster sind deutsche Untertitel einblendbar.

Andrew Solomon?

Solomon ist kein Schönredner, und schon gar nicht ist das einer von diesen typisch amerikanischen Wie-es-mir-einmal-wahnsinnig-dreckig-ging-ich-mich-aber-an-den-eigenen-Haaren-aus-dem-Sumpf-ziehen-konnte-und-jetzt-geht-es-mir-aber-sowas-von-super-dass-ich-es-der-ganzen-Welt-mitteilen-muss-Vorträgen, von denen nicht nur das Netz voll ist. Solomon berichtet von seinem Leben mit qualvollen Depressionen, vom stets prekär und zu einem Gutteil vergeblich bleibenden Versuch, diese Krankheit tatsächlich anzunehmen – integrieren wäre zuviel gesagt – und sogar eine Art von Sinn daraus zu ziehen.

Genau das spricht mich – als Betroffenen – an, denn ich leide seit meiner Pubertät an leichten bis mittelschweren Depressionen. Der Verlauf ist sehr unregelmäßig. Ich hatte ganze Jahre ohne Symptome – und Jahre, in denen gleich mehrere Klinikaufenthalte notwendig waren. Derzeit, ca. ein halbes Jahr nach Ende meines letzten Klinikaufenthalts, bin ich in einem labilen Zustand, d. h. fast die Hälfte der Zeit seitdem war ich mittelschwer depressiv. Die Episoden dauern in der Regel 3 – 6 Tage, dann folgen 1 – 2 leicht hyperaktive Tage, bis sich die Dinge schließlich wieder eingependelt haben.

Vier weitere Eigenheiten verkomplizieren – ich kann es nicht anders sagen – meine depressive Disposition: eine meist eher unterschwellig, aber sehr kontinuierlich wühlende Tendenz zu zwanghaft-vermeidenden Denk- und Verhaltensstrukturen und ein seit 2012 auch offiziell psychiatrisch diagnostiziertes Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS). Weiterhin halten mich einige Menschen für hochbegabt*. Ich habe aber definitiv auch eine leichte Dyskalkulie, d. h. selbst einfaches Kopfrechnen fällt mir ungewöhnlich schwer, v. a. unter Stress, sollte da Begabung sein, kann sie sich also nur auf den sprachlichen und musischen Bereich beziehen**. Zu guter Letzt bin ich Stotterer. Auch hier laufen die Dinge äußerst unregelmäßig, manchmal merkt man gar nichts, manchmal würge ich schier endlos an einem Konsonanten – „P“ und „K“ sind besonders problematisch – herum.

norman-batesErst seit einigen Jahren wird mir zunehmend klar, dass ich einen gewaltigen Teil meiner bisherigen Lebensenergie darauf verwendet habe, mit dem eben skizzierten „So-Sein“ klarzukommen, d. h. als unauffällig und leistungsfähig zu erscheinen und möglichst auch zu sein. Und dass meine für Außenstehende oft bizarr erscheinenden individuellen „Lösungen“ – z. B. plötzlicher unangekündigter Rückzug aus sozialen Kontexten, offensichtlich sinnlose Verkomplizierung einfacher alltäglicher Vorgänge, oppositionelles Verhalten in unwichtigen Situationen, gelegentlich unverhältnismäßige verbale Aggressivität – für mich meist recht nützlich und sinnvoll waren. Ich habe aber einen sehr hohen Preis dafür bezahlt: Radikale Einsamkeit. Gar nicht mal so sehr im Sinn von allein sein – ich bin gerne für mich – sondern im Sinn von: Es scheint da draußen niemanden zu geben, mit dem ich meine individuelle Seelenerfahrung, mein So-Sein teilen kann.*** Dennoch denke ich, dass dieser komplexe psychosoziale Anpassungsprozess alternativlos war.

Dabei habe ich – denke ich zumindest – keinerlei Empathiedefizit, ich glaube sogar, mich überdurchschnittlich gut in andere einfühlen und vor allem hineindenken zu können. Ein fast schon peinlich gutes Gespür habe ich für die Bedürfnisse meiner Gesprächspartner – und zudem von Haus aus die Tendenz, diese nach Möglichkeit auch verbal zu befriedigen. So kann ich mich blitzschnell recht überzeugend auf den Jargon und die Sprechweise sehr unterschiedlicher Menschen einstellen. Manchmal unterläuft mir das auch einfach – was nicht selten das Misstrauen des anderen erregt: Will der mich verarschen? Äfft der mich nach? etc. Wahrscheinlich hätte aus mir, wäre da nicht mein verräterisches Stottern, auch ein guter Hochstapler werden können.

Mit Anfang zwanzig begann ich endlich zu pubertieren und dieses natürliche Chamäleonverhalten an mir brüsk abzulehnen. Es galt nun, stets authentisch zu sein und notfalls alle und jeden permanent vor den Kopf zu stoßen. Eine extrem einsame Zeit mit permanenter leichter Paranoia und häufig auftretenden quasi-narzisstischen Grandiositätsfantasien. Quasi-narzisstisch deswegen, weil mir – nach eigener Einschätzung – im Gegensatz zu einem echten Narzissten jede Fähigkeit abgeht, andere über längere Zeit guten Gewissens manipulieren und ausbeuten zu können. Mittlerweile kann ich diese Dinge glücklicherweise etwas flexibler handhaben. Dennoch sagen mir einige FreundInnen weiterhin nach, ich hätte eine „überzogen hohe Meinung von mir“ bzw. sei „egozentrisch.“

In gewissem Sinn glaube ich, für ein solitäres Leben gute kognitive Voraussetzungen zu haben: Ich bin unendlich neugierig nach Nachrichten, Zeitungsartikeln, Sachtexten, Erotika, Spielfilmen, Lexikoneinträgen, Science-Fiction-Romanen, philosophischen Theorien und leide deshalb eher selten unter Langeweile oder einem Mangel an Anregung. Weiterhin bin ich in der Lage, mich auf einige wenige Dinge hyperzufokussieren – vor allem auf alles, was mit musikalischer Improvisation bzw. Komposition zu tun hat, aber auch auf komplexe philosophische Begriffsarchitekturen – und in diesen Flow-Zuständen über Stunden hochproduktiv zu sein.

Aber ich habe auch ich das Talent, gehaltvolle Freundschaften mit Männern und Frauen über lange Zeiträme zu pflegen und sogar neu aufzubauen, was, wie ich mittlerweile weiß, bei Männern über 35 eine Rarität darstellt. Dennoch habe ich stets allein gelebt – Zweck-WGs ausgenommen – und nur selten ernsthafte Versuche unternommen, eine Partnerschaft einzugehen. Keiner dieser Versuche kam über ein Experimentalstadium hinaus. Irgendwann entdeckten die Frauen immer, dass etwas mit mir nicht stimmte. Was genau, konnten sie nicht benennen – ich konnte es ja selbst nicht – und das machte ihnen naturgemäß Angst. Und so wanderte ich denn mit schöner Regelmäßigkeit in die Schublade des Typen-der-erst-mal-relativ-normal-wirkt-aber-bei-genauerem-Hinsehen-wahrscheinlich-ein-kompletter-Psycho-ist. Mit etwas Sarkasmus könnte man es das „Norman-Bates-Syndrom“ nennen.

Nicht zuletzt, um dieses Syndrom zu überwinden, schreibe ich nun diesen Artikel, der persönlicher ist, als alle bisherigen 1.115**** Weltsicht-Posts zusammen. Und ich fühle mich gut dabei, merke ich gerade. Denn alles, was ich hier an Persönlichkeitsmerkmalen geschildert habe, dürfte im Einzelnen verständlich sein. Höchstens die Konfiguration von Eigenschaften mag ein bisschen ungewöhnlich sein – aber vielleicht nicht einmal das.

Hinter mir dräut keine monströse Persönlichkeitsstörung, keine Psycho- oder Soziopathie. Ich habe keinen Grund, vor mir Angst zu haben. Und ihr auch nicht.

Ich wünsche euch von Herzen noch einen schönen Tag. Bleibt der Weltsicht treu. Meiner – und eurer eigenen.

Euer

Stefan

P.S.: Natürlich wird es Menschen geben, die sich jetzt abgestoßen fühlen, weil ich so offen war. Wieder andere, z. B aus meinem Freundeskreis, werden mit den Augen rollen und sagen: „Aber das wissen wir doch alles längst, was hat er denn nur schon wieder?“ Aber ich habe schlicht keine Angst mehr, mich lächerlich zu machen. Außerdem war ich bemüht, dieses Resümee mit einem Maximum an innerer Distanz und einem Minimum an Larmoyanz zu verfassen.


* Entgegen einer weitverbreiteten Annahme macht Hochbegabung das Leben nicht in jedem Fall einfacher, weil einem „alles zufliegt“.

** Hochbegabung und Dyskalkulie schließen sich nicht aus, vgl. den Wikipedia-Artikel „Dyskalkulie“.

*** Auf existenzieller Ebene geht das natürlich jeder so – aber davon spreche ich hier nicht. Es geht um das wesentlich banalere, aber den Alltag so wunderbar erleichternde „Kennst du das auch, wenn …?“

**** Kein Scherz, es sind wirklich schon so viele.

 

Und mit diesem Link bewerbe ich mich mit diesem Text für die Blogparade „Die größten Herausforderungen für erwachsene ADSler und wie man sie meistert“.

14 Kommentare zu „Guter Vortrag über Depression – und ein psychologisches Resümee in eigener Sache

  1. Alle Achtung!

    Auf was soll man sich jetzt beziehen? Da ist „recht viel“ drin, sodaß die Antwort vielleicht portionsweise kommen wird.

    Depression ist immer gepaart mit weiteren Eigentümlichkeiten. So kenne ich persönlich Zwangshandlungen und Zwangsgedanken leider sehr wohl. Gerade Letzteres macht mir zu schaffen.
    Depression war auch immer mit heftiger Angst gepaart.
    Depressive Phasen liegen bei mir schon lange zurück. Ich verstehe darunter schwere Einschränkung. Depressive Verstimmung ist dagegen etwas, was mich fast durchweg begleiten kann. Diese Verstimmungen sind als solche garnicht leicht zu erkennen. Man kann sie als getrübte Weltsicht bezeichnen. „Hellsichtige“ Freunde können so etwas benennen! Etwa: „Du siehst Dich durchweg als Opfer“. Wenn man solche Mitteilungen ernst nimmt und überdenkt, kann man durchaus für selbst wahrnehmen, daß es so ist: Da läuft einer mit einer „Tünche über den Kopf“ durch die Welt.
    Die harte Depression ist gegen diese Verstimmung aber ein wirkliches Monster, ich will mir das garnicht mehr vorstellen! Da dreht sich mir der Magen um!

    Deine Lösungsversuche “ z. B. plötzlicher unangekündigter Rückzug aus sozialen Kontexten, offensichtlich sinnlose Verkomplizierung einfacher alltäglicher Vorgänge, oppositionelles Verhalten in unwichtigen Situationen, gelegentlich unverhältnismäßige verbale Aggressivität“ sind tatsächlich problematisch, denn nur wenige sind bereit, willens und fähig, eigenartige Verhaltensweisen zu analysieren und erst mal so stehen zu lassen. So wird es so mache Kontaktabbrüche gegeben haben. Es sei denn, man hat auch Kontakte, die ihr eigenes Tun, Handeln, Denken und Fühlen weitestgehend mit den richtigen Werkzeugen reflektieren. Die gibt es natürlich und denen ist wenig fremd. Manches allerdings kann man kaum mit jemanden teilen, weil es schlecht vermittelbar ist. Z.b. bestimmte Zwangsphänomene, Vorstellungen auch, Eindrücke ect.

    „Ein fast schon peinlich gutes Gespür habe ich für die Bedürfnisse meiner Gesprächspartner“ – das schaffe mal in einem rein schriftlichen Austausch! Ich jedenfalls würde mir solch eine Begabung nicht zuordnen.

    „Dennoch sagen mir einige FreundInnen weiterhin nach, ich hätte eine “überzogen hohe Meinung von mir” bzw. sei “egozentrisch.”
    Selbstverständlich „bist Du das“! Du „leidest unter Größenwahn“. Das darfst Du ja auch, vieles an Dir ist ja auch groß-artig. Betonen muß man allerdings diese „Grösse“ nicht. Ich mache das im übrigen auch nicht. Meine eigenen Kreise drehe ich für mich alleine. Wenn andere mal drüber schauen, dann bemerken sie oft Besonderes, das dürfen sie auch.
    Die immense Neugier, die teilen wir. Viel Energie geht in einige wenige Dinge, vermutlich neurotisch aufgeteilt, doch gibt es immer wieder Raum für weitere Felder.

    „Irgendwann entdeckten die Frauen immer, dass etwas mit mir nicht stimmte. “
    Freilich stimmt etwas nicht mit Dir! Aber was will denn Frau eigentlich? Will sie einen stromlinigen Partner? Jeder hat neurotische Züge und die werden meist sattsam ausgelebt, man muß als Partner damit klarkommen. Beziehungsarbeit.
    Wie lange waren diese Beziehungen eigentlich? Auch mal 1, 2 Jahre?

    Um zum Schluß zu kommen: Danke für die Offenheit. Sehr ungewöhnlich und beispielgebend.
    „Nicht verkehrt“, sagt man wohl in Bayern. Man kann diese Offenheit „ausnutzen“, aber das dürfte für dich egal sein.
    So ein Psychogramm können im übrigen nicht viele vorlegen,denke ich mal.
    Wer bin ich eigentlich, ist gewöhnlich eine schwer zu beantwortende Frage. Und dies in Form zu bringen auch.

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  2. @Gerhard: Danke für deinen Kommentar – ich fühle mich ganz erstaunlicherweise auch in dieser äußerst heiklen Angelegenheit von dir verstanden, was mir SEHR gut tut 🙂

    „Depressive Verstimmung ist dagegen etwas, was mich fast durchweg begleiten kann.“ – Vermutlich meinst du damit das, was im psychiatrischen Jargon „Dysthymie“ heißt. Ich denke, exakt darunter leide ich eher NICHT, denn ich bin grundsätzlich „eigentlich“ eher ein heiterer, aufgekratzter und äußerst redseliger Typ (und das ist nicht gespielt). Als Opfer sehe ich mich auch nur sehr selten.

    „Deine Lösungsversuche … sind tatsächlich problematisch …“ – Wie ich mittlerweile weiß, hat dieses Verhalten (z. B. abrupter Rückzug auf Parties als Schutz vor Reizüberflutung, sinnlos repetitives Ordnen banaler Dinge aufgrund eines zwanghaften Ordnungsimpulses etc.) mit ADHS und Zwang zu tun und nur indirekt mit Depressivität. Relativ neu ist, dass ich mit diesen „Exzentrizitäten“ in letzter Zeit nicht mehr hadere, sondern sie als das annehme, was sie sind: akute psychohygienische Entlastungsmaßnahmen.

    „Du leidest unter Größenwahn.“ – Danke für die Offenheit. Das nun macht MIR zu schaffen: nicht deine Offenheit jetzt, aber mein narzisstisches Berechtigungsdenken. Ich weiß genau, dass ich dadurch auf sehr viele Menschen äußerst unsympathisch, arrogant, anmaßend oder schlimmstenfalls einfach hohl und dumm wirke. Dennoch gelingt es mir so gut wie nie, dieses Bedürfnis komplett zu unterdrücken. Also rede ich jetzt einfach mal ganz offen und – vor allem – UNIRONISCH darüber, mal sehen, was dann passiert 😉

    Das obige Psychogramm ist im Übrigen auch einfach Ausfluss der therapeutischen Maßnahmen (z. B. Erstellung eines „inneren Lebenslaufs“ und sowas), denen ich mich während meiner diversen Klinik-Aufenthalte unterzogen habe und für die ich sehr dankbar bin. Der Rest stammt aus den diversen psychiatrischen Gutachten über mich.

    Es geht auch hier nicht um irgendeine Form von Angeberei, sondern um den Austausch von Wissen und Erfahrung, nichts anderes.

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  3. @Jörg Meister: Danke – es war mir ein starkes Bedürfnis, da bin ich jetzt einfach mal ins kalte Wasser gesprungen. Und an euren freundlichen Antworten merke ich jetzt schon, dass das Wasser evtl. gar nicht so kalt ist 🙂

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  4. Wenn ich nochmal antworten darf…

    Dysthymie ist es wohl nicht. Was ich beschrieb, teile ich mit bestimmt sehr vielen Menschen, das möchte ich eigens betonen! Viele davon wissen nicht, daß man „die Dinge“ auch anders sehen könnte wie sie sie sehen. Zur Zeit jedenfalls fühle ich mich lebensfroh, heiter, interessiert, neugierig und voller Lust. Doch gab und wird es Phasen geben, in denen mir „das Leben“ als etwas sehr Mühsames vorkommt.
    Harte Depression hat damit natürlich mit diesen „Verstimmungen“ nichts zu tun.

    „unsympathisch, arrogant, anmaßend“.
    Arrogant: Das kann manchmal schon sein, daß man das denkt.. Weißt Du noch, das mit den genetischen Fragen? Damals ärgerte mich das massiv, aber ich kam gut darüber hinweg. Ich schob das auf Deine Erkrankung in dieser Phase.

    „Es geht auch hier nicht um irgendeine Form von Angeberei, sondern um den Austausch von Wissen und Erfahrung“.
    Wissen und Erfahrung – Wieso äussern sich jetzt im übrigen die Frauen nicht zu diesen Dingen? In einem therapeutischen Setting ist es sehr hilfreich zu erfahren, wie der andere WIRKLICH auf einen wirkt! Diese Offenheit im geschützten Rahmen ( ganz privat im Austausch!) kann die Augen öffnen, auch wenn sie zunächst mal schmerzen können. Dieses Geschenk wäre ein echtes Geschenk. So manches davon, was man erfährt, hätte zwar mehr mit dem Sender zu tun, wäre aber dennoch bedenkenswert.

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  5. @Stefan: Herzlichen Dank für diesen Post!!! Solomons Ausführungen geben mir so viel, denn das Gefühl der Unlust, die zu bekämpfen ich keine Lust habe, ist mir zumindest nicht unbekannt, auch wenn es bei mir nie so schlimm war, dass ich tatsächlich ärztliche Hilfe brauchte.

    @Sandra: Schließe mich Dir an – ich schätze, ich hätte wohl nie Stefans Mut.

    Aber ich darf statt dessen unendlich dankbar dafür sein, dass ich, auch wenn es mir vielleicht manchmal selber gar nicht so bewusst war, offensichtlich in den letzten vierzig Jahren stets Menschen in meinem Umfeld hatte, die mich so annahmen, wie ich bin (bzw. jeweils war, denn ich meine, ich habe mich in dieser Zeit doch sehr verändert) und mit denen ich reden konnte – und zu diesen Menschen zähle ich Stefan, den ich seit der Schulzeit kenne und dessen „So-Sein“ für mich mitunter in der Tat befremdlich war, so dass wir zeitweise, abgesehen von meiner „Auswanderung“ ins Erzgebirge, keinen Kontakt hatten. Inzwischen habe ich aber viel dazu gelernt und bei Menschen, die mich interessieren, machen mich solche „für Außenstehende oft bizarr erscheinende individuelle “Lösungen”“, wie sie Stefan beschreibt, sogar richtig neugierig und ich will wissen, warum sich jemand in einer Weise verhält, die „man“ so nicht „erwartet“. So habe ich z.B. gemerkt, wie wichtig zuhören ist. Ein wunderbarer Film, der mich in diesem Zusammenhang zuletzt sehr berührte, war „snow cake“ (Der Geschmack von Schnee), der anlässlich des Todes von Alan Rickman bei EinsFestival gezeigt wurde – deutscher trailer hier:

    Hier geht es zwar weniger um Depression, sondern um Autismus, aber die für mich wichtige Botschaft dieses Films ist dieselbe, um die es, wie ich finde, Andrew Solomon geht, wenn er von dem depressiven Ehepaar berichtet, von dem er bei dem Kongress getrennt angesprochen wurde: Nehmt Euch an und redet miteinander! Nehmt euch so an, wie ihr seid und redet miteinander!

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  6. @Volker: Dake für deine Offenheit, bin gerührt. – Meine Offenheitsinitiative hat übrigens auch ganz pragmatische Gründe: Mir schwinden mit zunehmendem Lebensalter mehr und mehr die Kräfte, irgendwelchen Ansprüchen an „normales“ Verhalten fassadenmäßig zu entsprechen. Nach außen hin kann das natürlich auch so wirken, als ließe ich mich „gehen“. Das ist aber nicht so. Mir sind nur viele Äußerlichkeiten, auf die ich früher großen Wert legte, mehr & mehr wurscht. Dass ich damit meinen Famlien- und Freundeskreis stärker belaste als früher, wo ich wirklich alles mit mir selbst ausmachen wollte, ist mir klar. Ich sehe aber zu diesem „Coming Out“ derzeit keine Alternative.

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