Quadrotoren, Marketing, Fischli und Weiss

Mit mittlerweile 3,8 Millionen Aufrufen kann man den Erfolg dieses YouTube-Videos, das am 28. Februar 2012 online gestellt wurde, wohl durchaus als „viral“ bezeichnen:

Im offiziellen YouTube-Begleittext heißt es über die Urheber dieser Arbeit nur: „Video Produced and Directed by Kurtis Sensenig. Quadrotors and Instruments by Daniel Mellinger, Alex Kushleyev and Vijay Kumar.“ Das Wappen unten rechts scheint zur University of Pennsylvania zu gehören, wo dieses Projekt wohl angesiedelt war.

Mich erinnerte das Konzept dieses Videos spontan an den zu seiner Zeit ähnlich erfolgreichen Kunstfilm „Der Lauf der Dinge“ von Fischli/Weiss aus dem Jahr 1987. Hier ein Ausschnitt, das Original dauert knapp eine halbe Stunde:

Schaut man ein wenig genauer hin, ist die Ähnlichkeit beider Filme allerdings eine recht oberflächliche:

Bei FischliWeiss geht es um präparierte chemisch-physikalische Naturvorgänge, die sich auf oft abstrus oder witzig erscheinende, aber stets verifizierbare Weise gegenseitig antriggern und so eine Ereigniskette vorantreiben, die ebenso künstlich wie natürlich erscheint. „Natürlich“ heißt hier, dass mit offenen Karten gespielt wird. Obwohl der Zuschauerin die naturwissenschaftlichen Erklärungen der vorgeführten chemischen Reaktionen bzw. physikalischen Gesetzmäßigkeiten evtl. unbekannt sind, bleibt klar, dass es sich um solche handelt – und nicht etwa um „Magie“ bzw. Alchimie. Dazu trägt sicher auch die eher schäbige, jedenfalls gänzlich unglamouröse Werkstatt-Atmo bei, in der der „Lauf der Dinge“ seinen Lauf nimmt.

In Sensenigs Arbeit dagegen soll lediglich die Leistungsfähigkeit eines im Entstehen begriffenen und nach Vermarktung dürstenden Industrieprodukts – dem Quadrotor – auf möglichst niederschwellige Art und Weise demonstriert werden, wozu er sich einer populären Melodie bedient. Auch Sensenigs Video arbeitet mit Absurdität, allerdings auf ganz andere Art und Weise als der „Lauf der Dinge“. Hier wird ein Hochtechnologieprodukt zweckentfremdet, um damit auf haarsträubend umständliche Art und Weise Musik zu generieren, die man auch viel einfacher hätte erzeugen können. Je öfter ich darüber nachdenke, desto abgeschmackter, berechnender und „banaler“ (R. Schuster) kommt mir denn auch diese Art und Weise, Absurdität zu erzeugen, bzw., besser: zu simulieren, vor.

Stellt sich – ganz unabhängig von diesen beiden Videos – die Frage, warum „wir“ (also mindestens 3,8 Millionen Menschen) uns immer wieder an Prozessen erfreuen, die in Abwesenheit menschlicher Akteure „einfach so“ ablaufen, aber von Automaten performt werden, die zu 100% von Menschen eingerichtet wurden.

Im kulturpessimistischen Feuilletonsprech formuliert: Warum sind wir Menschen so nachhaltig davon fasziniert, unserer eigenen Abschaffung zuzusehen?

23 Kommentare zu „Quadrotoren, Marketing, Fischli und Weiss

  1. Nehme die Frage zurück – 3,8 Millionen Aufrufe – allerdings noch nicht von mir – also bin ich auch nicht „wir“, sondern bloß erstmal immer noch „ich“ 😉

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  2. Tschuldigung – ähm – ich will jetzt niemandem zu nahe treten, aber wegen der 3,8 Millionen – jetzt sind’s 3,8 Millionen und einer. Ich hab‘ mir die clips gerade angesehen, spüre aber kein „Wir“-Gefühl, will sagen die Gänsefüßchen, in die Stefan das „wir“ kleidet, halte ich für sehr berechtigt, weil – ja – ich fand die Idee zu so was beim Anschauen ganz witzig (habe mich also erfreut) und könnte mir auch vorstellen, meinen Büroalltag mit derlei Zeitvertreib zu tauschen, aber – nein – es war keine echte Freude, sondern mehr ex und hopp, wie so vieles was ich auf youtube und dergleichen finde – einmal gesehen, geschmunzelt und vergessen. Und auf Stefans kulturpessimistische Frage weiß ich auch keine rechte Antwort…spüre da eher so eine gewisse Unruhe 😦

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  3. @Volker: Da fühle ich mich doch ganz gut verstanden, danke 🙂 Wenn ich mir meinen Artikel nochmal durchlese, merke ich übrigens, dass er mehr Fragen aufwirft als beantwortet, und „zu Ende gedacht“ ist er auch nicht … auf der anderen Seite: Für den Leser muss ja auch noch ’n bisschen Arbeit übrig bleiben, oder? Und „Meinung“ gibt’s nun wirklich schon genug, vor allem im www.

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  4. Ich habe mir dabei nur gedacht:
    „Nobel geht die Welt zugrunde.“
    Dieser Satz kommt mir immer wieder mal zu pass.
    „Als hätten wir keine anderen Sorgen“ ist ein weiterer solcher Satz.

    Nein, angesichts eines Szenarios, das sich vor unseren Augen entfaltet/entfalten wird, fragt man sich: Wieso nicht unsere Intelligenz bündeln und daran arbeiten, daß es für die Menschheit noch eine Zukunft gibt?

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  5. Und worauf gründet sich Dein Glaube? Nein, es ist ja offenbar kein Glaube, sondern fast eine Gewissheit.
    Irgendeiner hat auf einem anderen Blog geschrieben: „Don’t panic“. Naja, dann trinken wir halt Tee und lassen es uns gut gehen.

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  6. @Gerhard: Nee, so meine ich das nicht, ein „Quietist“ – wie es viele in meiner Generation sind – bin ich nicht, sonst würde ich hier ja auch nicht seit Jahr und Tag herumbloggen.

    Sagen wir mal so: Die Soziodigitalisierung ist unaufhaltbar, ja – aber es geht um das Wie. Um das darf gerungen werden. Letztlich ist es ein Kampf um Interfaces und/oder „Algorithmenethik“: Gestalte ich Software so, dass die Userin für dumm verkauft wird, oder halte ich Wege offen, die ihr einige Optionen belassen?

    Diese nur scheinbar technokratische Frage zieht dann alle „klassischen“ politischen Probleme wie Macht/Ohnmacht, Staat/Individuum, Marktwirtschaft/Planwirtschaft etc.in ihrem Kielwasser hinter sich her, sie verschwinden also auch in einer soziotechnisch optimierten Gesellschaft in keinster Weise, man muss sie nur neu formulieren.

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  7. Ok, ich meinte eher, ob wir als Art überleben können. Bisher hatte ich jedenfalls nichts gelesen, was mir Zuversicht macht.
    Aber nun zu dem Digitalen: Das Digitale scheint mir per se eine Blackbox zu sein. Lediglich der Schachprogrammierer wird wissen, wieso seine Software einen bestimmten Zug favorisiert hat. Sollte es zumindest wissen. Und wenn er es nicht weiß, fügt er seiner Software ein Korrektivum bei, das die Sideeffekte unmöglich macht.
    Nein, ich kann mir nicht Software vorstellen, die immer und durchgängig transparent sein wird.
    In der Biologie, in der man letztlich jeden Prozessen schlussendlich auf die Chemie der Atome herunterbrechen könnte und auch kann, ist man dennoch nicht in der Lage, das wie geölte Zusammenwirken von Myriaden Einzelfaktoren zu durchblicken. Aber das System läuft!
    Wenn Software immer komplexer wird und in jeden Winkel des Lebens kriecht, dann weiß man wohl auch nicht mehr, wo wer was aufgesetzt hat. In vielen Strängen schon, aber durchgehend. Das wäre wie das Gehirn neuronal verstehen zu wollen.
    Das nur mal so hingeworfen.

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  8. @Gerhard: Du hast völlig recht. Ich meine auch nicht, dass jeder Mensch zum Informatiker werden muss, das wäre naiv und weltfremd. Es geht, wie gesagt, um etwas anderes: um Interfaces und deren Gestaltung. Ich kann Interfaces prinzipiell auf zwei Arten und Weisen gestalten:

    1. Paternalistisch à la „Lieber User, du bist dumm, wir aber wissen, was gut für dich ist. Belassen wir es dabei.“
    2. Teilhabeorientiert à la „Lieber Nutzer, du bist dumm, das muss aber nicht so bleiben. Unsere Schnittstelle erlaubt dir – in Maßen – einen Blick hinter die Kulissen und wir jubeln dir nichts unter, was du nicht willst.“

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  9. Zu 2): Das passiert ja im Prinzip heute schon bei Digitalkameras. Wobei das Gros der Wahlmöglichkeiten schon jetzt den Durchschnittsuser völlig überfordert, es sei denn, er macht dies zu seinem Major-Hobby.
    Hast Du denn schon Anregungen an die Programmierer Deiner Musiksoftware weitergegeben? Bestimmt, denke ich. Wobei manches Einrücken an die Bedürfnisse des Kunden auch eine komplexe Software beeinträchtigen kann. Sie soll ja performant sein und in jedem Fall sauber funktionieren.
    Ein Mitprogrammierer einer Dialogprogrammierung hat, das ist schon 20 Jahre her, immer seine Lösung einem „Härtetest“ unterzogen: Jedwede Eingabe, jedes Herumhacken auf der Tastatur vollgezogen, um sich selbst zu zeigen, daß diese a) nicht abstürzt und b) sauber zu Ende kommt.

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  10. Im Prinzip ist es so, daß der Kunde (sprich etwa Stefan Hetzel mit seiner Musiksoftware) idealerweise doch einiges von Programmierung verstehen sollte, damit seine Wünsche umsetzbar sind. Programmierung erlaubt meist nur einen schmalen Sektor an Lösungen, gerade wenn das Hauptgerüst der Software ausdefiniert ist. Und wer legt schon Software so modular an, daß sie in sich völlig „zu drehen wäre“?
    Naja.

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  11. @Gerhard: Es ist – du weißt es – ein fürchterlich komplexes Thema, von dem aber immer mehr Menschen wissen oder, sagen wir besser: ahnen, wie wichtig es ist bzw. werden wird.

    Die Programmierer/Ingenieure/Techies wissen alles über ihr Zeug, haben aber oft wenig Interesse für Menschen, die „ganz anders ticken“, also z. B. „humanistisch Gebildete“, „Schöngeister“ oder auch „Esoteriker“.

    Die Anekdote, die du erzählst, läuft unter Techies vermutlich unter „DAU-Test“ (DAU = dümmster anzunehmender User) – und das zeigt auch schon das ganze Elend, denn selbst Nobelpreisträger können an der Handhabung einfacher Software scheitern, wenn das Interface nur kontra-intuitiv genug programmiert ist.

    Das Problem ist, dass Techies oft eine komplett andersartig strukturierte Form von Intuitivität haben als humanistisch-literarisch geprägte Menschen, will sagen: Der Techie mag sich noch so anstrengen, den DAU zu simulieren, so dumm wie ein „Humanist“ wird er sich niemals anstellen (können). Auf dieser Ebene ist das Problem also nicht zu lösen.

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  12. @Gerhard/Stefan: eines weiß ich, so lange es Menschen gibt, die mit diesen Fragen und Gedanken ihre Nächte verbringen, ist die Welt noch nicht verloren 🙂

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  13. Den DAU hatte ich garnicht damit gemeint. Falsch-Eingaben jedweder Art sind immer möglich, von jedermann. Aber was Du angeführt hast, daß Intuitivität auch eine je nach „Klasse von Denkern“ unterschiedliche Form annehmen kann, das stimmt sicher so.
    Volkers Frage (Guten Morgen!) ruft bei mir mein zuvor genanntes Problem auf: Wer oder was hat denn die klar untermauerte Aussage zu bieten, daß die Menschheit ihre feist vorhandenen Probleme lösen können wird?

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  14. Stefan, schläfst Du auch so knapp manchmal? Ich war nach 3 Stunden im Grunde wieder einsatzbereit…nervöse Energie 🙂

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  15. @Gerhard: „Wer oder was hat denn die klar untermauerte Aussage zu bieten, daß die Menschheit ihre feist vorhandenen Probleme lösen können wird?“ – Ganz einfach: Niemand. Wir sind dazu verurteilt, mit der Ungewissheit zu leben.
    #Schlafrhythmus: Ich habe gar nicht geschlafen … nervöse Apathie 🙂

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  16. Nicht daß Du es so treibst wie Ramanujan, der geniale Mathematiker aus Indien, der angeblich 30 Stunden durcharbeitete, um danach mal einen Tag zu schlafen.
    Ja, mich treibt schon der Grad der Verschmutzung um, mit dem wir unseren Planeten „bedenken“. Wobie noch garnicht alle Beeinträchtigungen bekannt sein werden.
    Ist denn überhaupt erforscht, was z.b. all der digitale Traffic in unseren Körpern anrichtet? Man weiß doch sehr wohl, wie feingliedrig und feinabgestimmt die Prozesse in unseren Körpern ablaufen. Kaum zu glauben, daß die vielfachen Schwingungen, die biologischen Uhren, die Biochemie unseres Körpers völlig unbeindruckt davon sein wird.

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  17. @Gerhard: Dazu kann ich nur sagen: Es ist nicht hilfreich, sich im Stillen mit Problemen zu grämen, zu deren Lösung man als Individuum absolut nichts beitragen kann, doch ich verurteile niemanden, der das trotzdem tut.

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  18. Schön, daß Du hier nicht verurteilst. Aber mir kommt das Ganze wie in einem Alptraum von mir vor, der so aussah, daß ein Tier (Reh z.b.) von hinten aufgefressen wurde, aber trotzdem weiter graste (so als wäre das vordringlich oder würde weiterhelfen).
    Kopf in den Sand stecken, sagt man auch dazu.
    Ich kann mich doch nicht mit der digitalen Zukunft beschäftigen und wie sie aussehen müsste, wenn noch nicht einmal zweifelsfrei klar ist, ob die voll-digitale Lebensweise biologisch auf lange Sicht tragfähig ist.

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  19. @Gerhard: Informiere dich über die Sachlage, so gut es geht und versuche dann, einen kurzen Text darüber zu formulieren, der der Komplexität der Angelegenheit so gerecht wie möglich wird. So mach ich das (idealerweise).

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