Video der Woche : KW 26 : „Synth Britannia“ (BBC-Doku 2009)

Der Titel der Doku klingt aufgrund seines nationalen Pathos‘ in meinen Ohren leider eher abstoßend (und auch nicht wenig irreführend), der Film selber weiß aber sehr wohl zu überzeugen: Es handelt sich um nichts anderes als eine Geschichte des britischen Post-Punk von 1975 bis 1985 (ungefähre Angaben!), die sich an den verwendeten elektronischen Musikinstrumenten entlanghangelt.

Autor ist der den Weltsicht-Besuchern bereits durch seine exzellente Krautrock-Doku aus dem selben Jahr bekannte Ben Whalley, dem es hier vielleicht noch einen Tick besser gelingt, ästhetische, technologische und soziokulturelle Aspekte eines zeitgeschichtlich noch recht nahen, aber definitiv bereits historischen Pop-Stils ohne jede belehrende Geste verständlich zu machen.

Für mich macht Whalleys Arbeit implizit klar, dass es sich beim Post-Punk um eine pop-ästhetische Epoche handelte, deren Entwicklung strukturelle Parallelen zu der der klassischen Avantgarden, vor allem des Surrealismus, aufwies:

  1. Zunächst erscheinen unabhängig voneinander kreative Köpfe, deren Output von der (zunächst winzigen) Öffentlichkeit sofort als „zusammengehörig“ identifiziert wird, die sich aber untereinander gar nicht kennen, geschweige denn sympathisch oder anziehend finden.
  2. Die Einzelköpfe „erkennen“ einander widerwillig – und beginnen gleichzeitig sofort, heftig um die „richtige“ Auffassung ihrer verbindenden Idee (die niemand „bündig“ zu formulieren weiß) zu streiten.
  3. Der Streit eskaliert, es kommt zu einer nicht endenden Abfolge von Ein- und Ausschlüssen (vgl. Throbbing-Gristle-Mitglieder im Film: „Wir waren NIEMALS Punks!“).
  4. Die „Bewegung“ zerfällt wieder, ohne sich jemals auf ein echtes „Programm“ geeinigt zu haben, was speziell im Fall des Post-Punk zu dem Gerücht führte, es habe ihn im Grunde „nie gegeben“. Whalleys Doku beweist aber das glatte Gegenteil.

Wieder lässt Whalley vor allem die ProtagonistInnen der Epoche sprechen – und er hat ihnen ganz offenbar die richtigen Fragen gestellt, denn Gary Numan, Cosey Fanni Tutti, Midge Ure oder Richard H. Kirk zeigen sich wach, auskunftsfreudig und vor allem – und das hat mich angesichts des in den Post-Punk fest implementierten „Depressionismus“ besonders überrascht – bester Laune 😉

Ich wünschte nur, ich würde das Englisch der EngländerInnen (so sympathisch es meist rüberkommt) besser verstehen…

Außer dem Foto-Dienstag gehört diese Weltsicht-Woche dann natürlich ebenfalls dem britischen Post-Punk 🙂 Im Einzelnen:

3 Kommentare zu „Video der Woche : KW 26 : „Synth Britannia“ (BBC-Doku 2009)

  1. Du gibst uns offenbar weit(er)reichende musikalische Informationen an die Hand – das scheint einem User nicht zu gefallen.
    Ich bin jedenfalls dankbar, daß sich mein „Fleckerlteppich“ füllt, füllen kann und ich ein wenig Übersicht bekomme. Auch wenn es Zeiteinsatz bedarf. Doch nichts ist umsonst.

    Danke!

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  2. @Gerhard: Danke für diese Gedanken! „Das scheint einem user nicht zu gefallen“ – der Finger liegt auf der Wunde, denn manches Mal schreckte ich vor der Bewertung eines Beitrags zurück, weil ich mir nicht sicher war, was ich denn jetzt bewerte – das gepostete Video oder Stefans Anmerkung hierzu??? Was diesen user hier angeht – meine 5er Bewertung lässt seinen einen Stern schon nicht mehr so garstig erscheinen – schätze ich, sagt ihm diese Musikrichtung nicht so zu 😉 Ich jedenfalls lege mir immer wieder gerne was von der Insel aus dieser Zeit auf, zumal ich damals gleich zweimal innerhalb dreier Jahre eine Woche in London weilen durfte. Und wenn ich jetzt noch den musikwissenschaftlichen Hintergrund dazu bekomme, umso besser 🙂

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  3. @Volker: „manches Mal schreckte ich vor der Bewertung eines Beitrags zurück, weil ich mir nicht sicher war, was ich denn jetzt bewerte – das gepostete Video oder Stefans Anmerkung hierzu???“

    Volker, du bewertest natürlich stets beides als „Paket“: Das verlinkte Video (bzw., um es ganz genau zu sagen, meine Idee, gerade dieses Video unter Milliarden verfügbarer zu verlinken) und meine Anmerkung.

    D. h., wenn du bsp.weise das verlinkte Video brillant, meine Anmerkung dazu aber unterirdisch finden solltest, könntest du 2 oder 3 Sterne geben … hm, na ja, 2,5 Sterne geht halt nicht, obwohl die natürlich korrekt wären.

    „musikwissenschaftlicher Hintergrund“ – Na ja, akademischer Musikwissenschaftler bin ich ja nicht, und „normalen“ MuWis stehen nach meiner Erfahrung oft allein aufgrund meiner manchmal idionsynkratischen écriture die Haare zu Berge (à la „Ist ja nicht ganz falsch, was er da sagt, aber so kann man das doch nicht ausdrücken, nein, geht gar nicht!“ – Geht doch, FreundInnen, ihr seht’s ja 😉 ). Ich sehe mich schlicht als Publizisten, denn der hat ein Recherche-Ethos wie der Journalist, aber die institutionelle Unabhängigkeit und thematische Freiheit des Schriftstellers.

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