
Temperierung nach La Monte Young (siehe Kompositionsnotiz)
Microtonal MIDI Software Harmonic, PianoTuner (F. Nachbaur)
Sample-Bibliothek Bösendorfer Imperial-Konzertflügel (VSL)
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Kompositionsnotiz
Seit Ende der 1950er-Jahre begann der US-amerikanische Saxofonist, Jazz-Musiker und spätere spiritus rector der Minimal music La Monte Young, sich mit alternativen Temperierungen außerhalb der allgemein üblichen, gern „wohltemperiert“ genannten gleichstufigen Stimmung von Instrumenten zu beschäftigen. Im Jahr 1964 schälte sich schließlich ein konkretes Gegen- oder Reform-Modell heraus, welches er, nicht unbescheiden und in bewusster Anlehnung an J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier, well tuning nannte.

Ab diesem Zeitpunkt performte Young immer mal wieder stundenlang auf einem Bösendorfer Imperial-Konzertflügel, den er vorher in dieser Skala gestimmt hatte. Das Ganze, also Temperierung und Performance, nannte Young dann The Well-Tuned Piano.
Wie genau ein Klavier denn nun zu stimmen ist, damit es well-tuned genannt werden darf, darüber hat sich der zum Isolationismus neigende Komponist nach meinem Kenntnisstand bis heute nicht öffentlich geäußert. Der Musikologe Kyle Gann hat die Skala aber Anfang der 1990er-Jahre aus Youngs Performances herausgehört und sie – nach eigenen Angaben mit dem Segen des Komponisten – schließlich 1997 hier ins Netz gestellt.
Einer digitalen Implementierung stand nun nichts mehr im Wege. Und genau das tat ich zehn Jahre später.
Analog zu Young begann ich anschließend, auf meinem nun well-getuneten MIDI-Keyboard zu improvisieren, erst nur kurz, dann etwas länger, schließlich – nach einigen Wochen und Monaten – immer ausgiebiger und entspannter. Es ging mir dabei darum, mich so gut an die Skala zu gewöhnen, dass ich sie nicht mehr als „anders“ oder gar „falsch“ wahrnahm. Nach einiger Anlaufzeit gelang dies erstaunlich gut.
Das in meinen Ohren mit Abstand überzeugendste Ergebnis dieser Bemühungen lieferte der knapp viertelstündige PianoLog 2010-11-06, den ich hier – nach mehrmaliger Durchsicht und Bearbeitung – nun als Komposition «For La Monte Young» präsentiere. Die Komposition lehnt sich zunächst eng an Youngs Spielweise an, bevor sie ab Minute 9 mehr und mehr eigene Wege geht.
Was genau La Monte Young dazu bewog, seine Skala gerade so und nicht anders zu kalibrieren, hat wohl mindestens so viele „pythagoräische“, d. h. spekulativ-esoterische, wie musikalische Gründe. Wer, im Gegensatz zu mir, Spaß an der Anwendung Elementarer Zahlentheorie auf die Konstruktion musikalischer Skalen hat, kann sich auf Kyle Ganns Homepage gerne diesbezüglich erschöpfend informieren.
Mich interessiert Youngs Skala weniger als Quintessenz arkanen Wissens als vielmehr, weil sie heutzutage problemlos auf einem handelsüblichen MIDI-Keyboard implementierbar ist und weil sie – im Gegensatz zur sonstigen oft eher nach Horrorfilmsoundtrack und/oder Entfremdung klingenden Mikrotonalität in der Neuen Musik – tatsächlich gut klingt.
Es scheint mir, als habe Young hier in einer glücklichen Mischung aus musiktheoretischer Reflexion, psychoakustischem Wissen und musikantischer Praxis heraus tatsächlich ein neues Tool für KunstmusikkomponistInnen entwickelt, mit dem es sich trefflich arbeiten lässt.
Denn sein Well-Tuned Piano ist zwar „mikrotonal“ im Sinn der Neuen Musik, doch handelt es sich im Gegensatz zu den häufig unpraktikablen Ideen aus dieser Szene, z. B. die Unterteilung der Oktave in mehr als 12 Tonstufen oder gar die völlige Abschaffung des Oktavprinzips (beide Ansätze machen den Bau neuartiger Nicht-Standard-Klaviaturen notwendig), um eine nahezu „bodenständige“ und in jedem Fall nicht-elitäre Realisierung von Mikrotonalität und damit eine echte Erweiterung des musikalischen Basisvokabulars.
„Der Musikologe Kyle Gann hat die Skala aber Anfang der 1990er-Jahre aus Youngs Bösendorfer-Performances herausgehört“
Hat er die gefundenen Werte denn immer gegengecheckt? Das würde mich interessieren.
Ich finde schade, daß der quasi evolutionäre Prozess der Schrittefindung nicht festgehalten wurde.
Dieses Festhalten der Findung des „well tuning“ hätte auch literarische Qualität besessen. Welche Rolle spielt das Individuum hier? Wie kommuniziert man diesen Prozess?
Habe mir das jetzt das zweite Mal angehört. Beim 1. Mal klang es etwas fremd, jetzt ist der Eindruck nicht mehr da.
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Gute Arbeit.
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…and very well-tuned 😉 Mir gefällt’s auch sehr gut! 🙂
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@Volker, auch die Kommentierung des Ganzen sagt mir zu. Ich meine den Textkörper, der für sich genommen schon wirkt und wie ein behauener Block dasteht.
Ich knobelte in meiner typisch peniblen und sprachverliebten Weise an dem Satz herum:
„Was genau La Monte Young dazu bewog, seine Skala gerade so und nicht anders zu kalibrieren, hat wohl mindestens so viele „pythagoräische“, d. h. spekulativ-esoterische, wie musikalische Gründe. “
La Monte Young hatte sicher keine spekulativ-esoterische Gründe, so zu kalibrieren. Wir oder der Zuhörer dagegen führt dagegen meist spekulativ-esoterische Gründe hier ins Feld. Eine meiner Spekulationen hatte ich ja oben schon angeführt.
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Tut mir leid, dass ich eine Gegenposition einnehmen muss: In meinen Ohren klingt es einfach nur wie ein ziemlich verstimmtes Piano. Ich kann dem nichts Schönes abgewinnen, tut mir in den Ohren weh, kann ich gar nicht bis zum Ende durchhören. Erkenntnis: Die wohltemperierte Stimmung ist eine gute Idee und Errungenschaft.
Wem sowas wie oben gut gefällt, der muss einfach nur regelmäßig zu Konzerten von Jugendstreichorchestern, Musikschulvorspielen und Laiengospelchören gehen. Da klingt’s ziemlich ähnlich und zwar ganz ohne musikphilosophischen Überbau. Durfte ich erst kürzlich mehrfach erleben. Konnte mich auch da nicht dran gewöhnen, sondern empfand es als fehlerhaft und störend, vielleicht war’s ja aber beabsichtigt und mühevoll einstudiert?
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@Dennis: Besten Dank für – es muss in der Tat nicht jedem gefallen. Aber wie ich finde, hat alles seinen eigenen Reiz und was die Musikschüler betrifft, jeder hat mal klein angefangen and nobody’s perfect ;-). Bei Florence Foster Jenkins weiß ich zwar nicht, wie es sich genau verhielt, aber auch sie verdient Gehör – hier zwei Kostproben :-):
Letzteres ist von Herrn Mozart – mit ihm stand und stehe ich zumindest seit jeher auf Kriegsfuß 😉
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@Dennis: „Besten Dank für Deine Meinung“ wollte ich natürlich schreiben – damit das auch geklärt ist 🙂
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Musikrezeption is bei mir recht stimmungsabhängig, kann sein dass ich PUR gut find, wenn ichs in der entsprechenden Laune höre und nicht weiss was es ist; Klischees können einem ungemeine Geborgenheit liefern, wenn man Chips essend auf dem Sofa rumfläzt und kein dissonanter Klang einen erschrecken kann.
An atonaler Musik ist in der entsprechenden Laune ist dann aber wiederum das Unerwartete möglicherweise interessant. Wen das noch Rhythmushat wie ZAPPA das z.B mit Boulez gemacht hat umso mehr; hat sich ja auch in die U Mugge bei diversen Crossoverstilen eingeschichen und wird nun auch beiz.B Metal auch integriert.
Irgendwann is eben auch das ewige I IV V abgeschrubbt.
Die Herangehensweise aus technischer Hinsicht kann aber auch ein Zugang sein, wenn mans drauf hat 🙂 Jedem das Seine eben, wie immer zu sagen pflege.
keep on rockin atonaling or anything!
dazu noch zwie meiner Lieblingszitate:
von Maestro ZAPPA
“Information is not knowledge.
Knowledge is not wisdom.
Wisdom is not truth.
Truth is not beauty.
Beauty is not love.
Love is not music.
Music is THE BEST.”
und
„Jazz is not dead, it just smells funny.“
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@Gerhard: „Hat er die gefundenen Werte denn immer gegengecheckt?“ – Nach meinem Kenntnisstand gab es nichts zum Gegenchecken, da Young – wie gesagt – nichts über die Skala publiziert hat. – „Gute Arbeit.“ – Danke 🙂
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@Volker: „Mir gefällt’s auch sehr gut!“ – Herzlichen Dank 🙂 – Dass du hier zwei Videos mit F. F. Jenkins verlinkst, ist vermutlich als entkrampfender Debattenbeitrag gemeint, kann aber auch in die Irre führen. Denn Youngs (und meine) Bestrebungen sollen ja gereade keine unfreiwillig komische Freakshow sein, sondern ernsthafte kunstmusikalische Arbeiten (die gleichwohl dennoch unterhaltend und/oder erbauend wirken dürfen).
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@Dennis: Es braucht dir nicht leid zu tun, dass dir Youngs alternative Temperierung in den Ohren wehtut. Es wäre mehr als bedenklich, wenn sie es (zunächst) nicht täte. Andererseits verstehst du jetzt vielleicht besser, dass Menschen, die bsp.weise mit mikrotonaler arabischer Musik aufgewachsen sind, Musik in gleichstufiger Stimmung evtl. genauso in den Ohren wehtut.
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Stefan, ich meinte natürlich Gann.
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Ich will das nicht analysieren. Das erste Mal klang die Musik recht fremd für mich, sperrig fast, das zweite Mal, um sie nochmal durchzugehen, war das Erlebnis ein anderes.
So war es bei mir. Was sagt das aus?
Nun, ich bin sozusagen von Haus aus gewillt, dem Dargebotenen mein Ohr und meine Aufmerksamkeit zu geben/schenken. Wenn man das nicht wirklich will, dann kann das Stück normalerweise nicht gefallen.
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@Bernhard: Danke für deinen ausführlichen Kommentar 🙂
Ich muss zugeben, dass bei mir das Musikhören mittlerweile streng ritualisiert ist und kaum noch launenabhängig. Manchmal bedaure ich das.
„Jazz is not dead, it just smells funny.“ – Stimmt. Das gilt mittlerweile aber auch für Zappas eigene Musik, die aber auf der anderen Seite für nicht wenige Menschen bis heute als eine Art Aussichtspunkt in bisher unbekanntes Terrain zu wirken scheint . Und das finde ich gut. Über seine bemerkenswerte Wertepyramide „Information -> Wissen -> Weisheit -> Wahrheit -> Schönheit -> Liebe -> Musik“ muss ich mal nachdenken.
Mein Interesse an Musik ist stets und ausschließlich von Gefühlen motiviert. Musik, die mich nicht anspricht, kann ich mir durch technische Erklärungen auch nicht schönreden. Technische Analysen fallen mir eher schwer, aber ich baue sie mehr und mehr in dieses Blog ein, weil sie im Gegensatz zum Satz „Hört euch das an, das ist so geil!“ objektivierbare Information enthalten, über die man diskutieren kann. Ich würde es bedauern, wenn der Eindruck entstünde, ich wäre ein Musik-Nerd. Das Gegenteil ist der Fall.
„keep on rockin atonaling or anything!“ – Danke, mach‘ ich 🙂
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