
Temperierung nach La Monte Young
Microtonal MIDI Software Harmonic, PianoTuner (F. Nachbaur)
Sample-Bibliothek Bösendorfer Imperial-Konzertflügel (VSL)
Sample-Renderer [Host] Vienna Ensemble [Freepiano]
Faltungshall [Software] ORTF-Studiohall (Urheber unbek.) [FreeverbVST3_Impulser2]
Audio-Editor Dark Audacity
Kompositionsnotiz
Zum Abschluss eines sorglosen Urlaubs mit Freunden auf der Ostseeinsel Rügen gab ich am 26. August 2017 eine Performance auf einem 4-oktavigen MIDI-Keyboard, deren Nachbearbeitung so viel Zeit in Anspruch nahm, dass ich die resultierende Komposition «Lobber Ort» erst jetzt – 8 Monate später – präsentieren kann.


Haltepedal habe ich damals keines verwendet, wie man im Foto rechts sehen kann („Birkenstock is my shoe…“ [M. Eggert]). Von der Echtzeitoktavumschaltung habe ich dagegen reichlich Gebrauch gemacht, hat der Bösendorfer Imperial, dessen Samplebibliothek ich verwendete, doch exakt den doppelten Tastaturumfang wie die Plastetastatur, die mir auf Rügen zur Verfügung stand.
Kannst Du etwas dazu sagen, wieso die Bearbeitung so viel Zeit in Anspruch nahm?
Ich frage das u.a., weil ich immeer wieder mit der Nase auf den Fakt stosse, daß keramische Arbeiten viel viel länger dauern als gemeinhin angenommen. Allein schon auch wegen der Fixzeiten.
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@Gerhard: Danke der berechtigten Nachfrage. Dieses Stück lebt von den endlos repetierten Einzeltönen im Bass- und Subbass-Bereich. Spannung entsteht dabei ausschließlich durch den stets variierten Tastenanschlag (velocity), der eine Balance zwischen Vorhersehbarkeit und Plötzlichkeit anstrebt. Wären alle diese endlos wiederholten Töne gleichlaut, wäre das Stück ein Witz – und ein schlechter dazu (schlechte Unendlichkeit, hihi).
Beim Rendering der Rügener MIDI-Daten auf dem heimischen Laptop fiel mir auf, dass einige Töne einfach zu leise waren, auch ließ die rhythmische Präzision meiner Performance oft zu wünschen übrig. Also blieb mir nichts anderes übrig, als diese vielen Hundert (!) Einzelanschläge nochmals „anzufassen“ (mit der Maus) und sowohl velocity-mäßig wie Mikro-Timing-mäßig nachzujustieren. Ich nenne diese Praxis gerne „Nano-Editing“, siehe diesen Weltsicht-Artikel und sie ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was ich als „Komponieren“ bezeichne.
Nano-Editing ist eine grauenhaft eintönige Aufgabe, die aber dennoch hohe Aufmerksamkeit erfordert. So müssen sich mittelalterliche Mönche gefühlt haben, die Tausende von Buchstaben einer Handschrift zu illuminieren hatten. Dennoch – so meine Erfahrung – darf man dieses Nano-Editing keinem Quantisierungs-Algorithmus überlassen, denn sonst verliert die Musik ihre Seele!
Also hatte ich keine Wahl: Immer wieder hinsetzen, ein paar Dutzend Tonrepetitionen nano-editieren, die Kiste genervt wieder zumachen, ein paar Tage / Wochen abwarten, dann erneut hinsetzen, wieder ein paar Takte feinjustieren etc. Das Stück dauert ja fast dreinzehneinhab Minuten und in der Zeit – glaube mir – lassen sich sehr viele schnelle Tonrepetitionen unterbringen.
Als zur Zwanghaftigkeit neigende Persönlichkeit trat dabei die zusätzliche Schwierigkeit eines immer genaueren und noch genaueren Hinsehens dazu, die mich bereits nano-editierte Passagen erneut kritisch revidieren ließ. Sehr leicht hätte es sein können, dass ich niemals fertig werde. Ich erinnere mich an eine Zwänglerin aus einer Selbsthilfegruppe, die Geigenbauerin gewesen war & ihren Beruf aufgeben musste, weil sie mit keinem Instrument mehr fertig wurde. Sie fand immer noch etwas Neues, mit dem sie nicht zufrieden war.
Du kannst dir kaum vorstellen, wie stolz ich war, als „Lobberort“ dann doch endlich durchgeackert, nochmals revidiert, genau durchgehört, mikro-getimt und anschlagmäßig feinjustiert war, bis – soweit ich das hören konnte – nichts mehr zu optimieren übrig blieb.
Der geneigte Hörer wird dennoch viele kleinere und größere Unregelmäßigkeiten in der Musik feststellen, aber die sind nun alle gewollt. Chaotisches Improvisieren allein ist langweilig, algorithmisches Generieren auch. Ästhetisch interessant wird’s erst, wenn sich die Dinge in der Mitte treffen.
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Ja, gut verständlich formuliert. Danke.
Zu 2 Punkten:
„Dennoch – so meine Erfahrung – darf man das Nano-Editing keinem Quantisierungs-Algorithmus überlassen, denn sonst verliert die Musik ihre Seele!“
Wäre es möglich, das Ergebnis des Algorithmus zu revidieren?
„bereits nano-editierte Passagen erneut kritisch revidieren ließ“
Das mag aus dem Zwang resultieren, ist aber m.E. „natürlich“?! Denn man lernt durchs Editieren ja „hinzu“, sodaß man erneut ran muß. Ist ja auch so bei Texten.
Im Moment hadere ich wieder mit mienen keramsichen Arbeiten – sie brauchen viel Zeit – und jeder Versuch, da Tempo reinzubringen, kann kontraproduktiv sein. Da aber so vieles ansteht, was ich verwirklichen möchte – ausserhalb des keramischen Tuns natürlich – fühle ich mich in einer Art Zwickmühle.
Danke für den Austausch.
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@Gerhard:
ad 1) Man könnte natürlich einen Quantisierungs-Algorithmus mit eingebauter „Unschärfe“ („humanizing“) verwenden – aber das funktioniert nach meiner Erfahrung in dieser spezifischen kompositorischen Situation nicht, da der Algorithmus meine nonlinearen ästhetischen Absichten nicht kennt.
ad 2) Zwanghaftigkeit ist die boshafte Zwillingsschwester der Gewissenhaftigkeit. Ab wann es genau „krank“ wird, darüber sind sich nach meiner Erfahrung nicht einmal die Psychiater einig.
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