Bundwerk gegen Diversitas

Dietmar Dath (*1970)

Das kommt also heraus, wenn ein Marxist einen Science Fiction-Roman schreibt: Nicht schlecht, Herr Specht. Dass Dath ganz hervorragend schreiben kann, weiß ich seit Die Abschaffung der Arten aus dem Jahre 2008. Allerdings kann ich mich derzeit an keinerlei Einzelheiten aus diesem Roman mehr erinnern. Und ich fürchte, mit „Venus siegt“ (2015) wird es mir ganz genauso gehen. Komischerweise bedeutet das aber kein Qualitätsurteil – in diesem speziellen Fall.

Warum mir Dath so ausgezeichnet gefällt, obwohl inhaltlich nichts hängen bleibt, ist allerdings zu analysieren. Es erinnert mich doch an was … richtig: Die Lektüre von Diedrich Diederichsens Essay-Sammlungen „Freiheit macht arm“ (1993), „Politische Korrekturen“ (1996), „Der lange Weg nach Mitte“ (1999) und „Eigenblutdoping“ (2008). Auch hier: höchstes Amüsement, ja purer Genuss während der Lektüre, danach die große Leere.

Es gibt eine Verbindung zwischen Diederichsen und Dath und die heißt SPEX. Ersterer war dort mal Chefredakteur, zweiterer Autor. Beide gehören also der intellektuellen Gruppierung an, die ich gerne die postmoderne Linke nenne und der ich mich lange Zeit ebenfalls zurechnete, bis ich mich (wie viele andere) irgendwann vom Zeitalter flächendeckender Ironie verabschiedete.

Aber zum Roman: Gut gegen Böse, Links gegen Rechts, Kommunitarismus gegen Liberalismus, Bundwerk gegen Diversitas, Venus gegen Erde, Sowjetunion gegen Drittes Reich, … – und das äußerst varianten- und einfallsreich verkompliziert, ausdifferenziert, variiert und dekonstruiert, das ist „Venus siegt“. Immerhin ein Narrativ. Am Ende, so viel sei verraten, gibt es keinen eindeutigen Gewinner oder Verlierer, die Dinge bleiben, man ist schließlich postmodern, in der Schwebe.

Worauf sich die geneigte Leserin bei Dath einstellen muss, ist Vokabeln lernen. Der erste Teil des Romans ist als Autobiographie eines ehemaligen Bundwerk-Apparatschiks gestaltet, und der verwendet natürlich ohne Umschweife die Begriffe seiner (fiktiven) Epoche, deren Bedeutung man dann im Weiterlesen entschlüsseln muss. Gefällt mir aber, sowas. Kleine Rätselaufgaben lösen. Andere mag es abschrecken.

Eine Zilie ist bsp.weise ein aus Schwarzem Eis errichtetes öffentliches Transportsystem, in dem man sich mit oder ohne Hilfe von Inertialen bewegen kann. Neben B/ und Neukörpern können auch D/ Zilien nutzen, während K/ darauf nicht angewiesen sind.*

Ansonsten geht’s um ein Thema, das die zeitgenössische SF als Ganzes derzeit umzutreiben scheint (vgl. meine Newitz-Rezension von Anfang des Monats): die soziokulturellen Folgen einer Emanzipation Künstlicher Intelligenz. Während Newitz jenseits aller Witzischkeit dann doch letztlich als fatalistische Mahnerin und Warnerin auftrifft, lässt Dath das Ding als real existierenden Kybernismus durch äußere Gegner scheitern – und damit erneut alles in der Schwebe. Was den Leser unbefriedigt zurücklässt. Von einem ideologisch derart ambitionierten Autor erwartet man dann doch etwas mehr Vision.

Aber bei diesen postmodernen Linken weiß man – per definitionem – ja nie. Vielleicht will Dath ja auch nur spielen (bzw. dekonstruieren, was mir mitunter auf dasselbe hinauszulaufen scheint). Fragt sich nur, wie lange mir die Zeit dafür noch nicht zu schade ist.


* Schwarzes Eis Venusischer Werkstoff mit schwerkraftbeeinflussenden Eigenschaften)
Inertial Sammelbegriff für venusische Transportfahrzeuge
B/ „Biotische“, d. h. Menschen
Neukörper Experimentelle Kombinationen aus D/, B/ und K/, die die Errichtung des Freiwerks, einer Art von kybernetischem Kommunismus, vorbereiten sollen.
D/ „Diskrete“, d. h. Roboter
K/ „Kontinuierliche“, d. h. Künstliche Intelligenzen.
Was man sich genau unter Garben vorzustellen hat, habe ich aber bis heute nicht rausgekriegt.

2 Kommentare zu „Bundwerk gegen Diversitas

  1. Ich hätte gerne mal einen Roman von ihm gelesen, aber hab (Titel vergessen) nach 10 Seiten abgebrochen, weil es halt ein Roman ist, da werden erst mal so Charaktere eingeführt und so, finde das völlig lästig, mich würden einfach die Science-Fiction-Ideen interessieren. Bin einfach unbegabt für Romane.

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  2. @Kreidler: Ich bin zwar im Alltag manchmal ausgesprochen ungeduldig, aber beim Romanlesen legt sich das sofort. Natürlich nur, wenn das Buch mich fesseln kann. Keine Ahnung, woran das liegt.

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