00:00 „Tristesse“ – 02:31 „Lichte Momente“ – 06:19 „Übergang“ – 10:08 „Encore Tristesse“
MIDI-Editoren MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu), Cubase
Faltungshall Large Stanford Stairwell
Kompositionsnotiz
2006
«2007 (Lieberose)» is a chamber music composition for Violin, Viola, Cello, Contrabass, Trumpet, Trombone, Flute, Oboe, Englishhorn, Contrabassoon, Clarinet, Bass Clarinet, Piano and Marimba. The music was laptop-composed during a „composer-in-residence“ vacation in Lieberose (Brandenburg / Germany) in rainy summer 2006. It’s in an almost pure minimalist style.
2020

«Lieberose (2007)» für Violine, Bratsche, Cello, Kontrabass, Horn, Wagnertuba, Kontrabassposaune, Piccoloflöte, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Kontrafagott, Marimbafon und Klavier
1. Satz: „Tristesse“
2. Satz: „Lichte Momente“
3. Satz: „Übergang“
4. Satz: „Encore Tristesse“
Die «Jahreszahlen» – Einflüsse, Ideen, Konzepte
1 Braxton, Blasinstrumente
Die Melodik vor allem der Blasinstrumente ist meiner Begeisterung für die eigenwillige Phrasierung des afro-amerikanischen (Free)Jazz-Saxofonisten, Komponisten und Stockhausen-Verehrers Anthony Braxton geschuldet, allerdings mit dem Vorsatz, diese Ausdrucksweise auf dem Jazz bzw. der Improvised music möglichst fernstehende Holzblasinstrumente anzuwenden. Dabei fielen mir als erstes drei ein, die es aufgrund der Dominanz des historisch jüngeren Saxofons nicht mehr in den Jazz geschafft haben: Oboe, Englischhorn und (Kontra-)Fagott. Diese Entscheidung sollte den sound der gesamten «Jahreszahlen»-Reihe prägen und lässt die Musik oft europäischer klingen, als sie es vom Materialstand her ist. Was mir zupass kommt , denn ich möchte, dass die «Jahreszahlen» als Kunstmusik 1 rezipiert werden.
2 Minimal music
Die zweite Inspiration ging von der Minimal music Steve Reichs und, ich gebe es hiermit zu, durchaus auch des vielgeschmähten Philip Glass, aus. Vor allem Reichs Idee der permutierenden Wiederholung Bebop-artiger Phrasen, die zudem kanonmäßig phasenverschoben übereinandergelegt werden, fasziniert mich seit jeher. Klingt jetzt ausgesprochen technisch, hört sich aber ziemlich groovy an.
Die Minimal music hat während der 1960er- und 70erjahre eine Gelenkfunktion zwischen Avantgarde und Postmoderne eingenommen, nur wenig später begannen ebenfalls „repititivistische“ Stile wie Disco, dann Techno und House die Tanz- bzw. „Clubmusik“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu dominieren. 2
3 Musik als Psychoplastik
Eine dritte Quelle ist meine eigene Idee einer psychoplastischen Musik, also einer Musik, die kognitive Ströme („Gedanken“) möglichst verlustfrei in Echtzeit sonifiziert. Wer hier an einen musikalischen stream of consciousness à la Joyce denkt, liegt sicherlich nicht ganz falsch, wesentlich stärker wurde ich aber von Oswald Wiener / Thomas Raab und deren Vorstellung mehr oder minder systematischer Selbstbeobachtung beeinflusst. Ich maße mir dabei nicht an, Freuds und Wieners Ideen en detail bzw. gar wissenschaftlich korrekt verstanden zu haben, sondern beute das, was ich von diesen Ideen begriffen zu haben glaube, für meine Zwecke aus.
Joyces und Wieners Ideen einer Widerspiegelung des Selbst in sich selber sind, das ist mir bewusst, himmelweit voneinander entfernt. Was sie aber gemeinsam haben, ist die Neugier auf bisher unbekannten bzw. verborgenen bzw. latenten bzw. lediglich impliziten Eigencontent. Im Sinne von Freud / Joyce wären das bisher mehr oder minder tabuisierte Triebregungen, uneingestandene, weil gesellschaftlich unerwünschte Emotionen, Fantasien und Ähnliches, bei Wiener / Raab geht es eher um die nüchterne Protokollierung und Modellierung wiederkehrender kognitiver Abläufe im eigenen Bewusstsein. Richtig verstanden, ergänzen sich beide Ansätze ganz hervorragend.
Freuds / Joyces Idee des Selbst lässt sich mit dem Bild einer Pfütze vergleichen, in die ein Stein geworfen wird, der verblüffend tief sinkt und eigentlich gar nicht mehr aufhört, immer noch tiefer zu sinken. Die flache Pfütze am Wegesrand erweist sich als mehr oder minder bodenloser Pfuhl. Es geht darum, die Spur, die der sinkende Stein im Wasser hinterlässt, zu beschreiben.
Wieners / Raabs Idee symbolisiere ich gerne mit dem Bild des Selbst als Maschine, die über ihre eigene Maschinenhaftigkeit reflektiert und sich dabei vollkommen bewusst (sic!) ist, dass sie schon aus logischen Gründen kein vollständiges Bild ihrer selbst erwirtschaften kann. Dennoch lässt sie nicht nach in ihrem Drang, das eigene Erleben als Abfolge bzw. Netzwerk mehr oder minder komplexer Algorithmen begreifen zu lernen.
4 Improvisation (Komposition)
Ich bediene mich der altbekannten Praxis der musikalischen Improvisation, die Derek Bailey hier in überzeugender Weise als „anthropologische Konstante“ identifizieren konnte.
Mein Improvisationsbegriff geht allerdings über diese Vorstellung hinaus, indem er auch jegliche Form des Komponierens inkl. algorithmischer Kompositionstechniken umfasst. Komposition, so könnte man in diesem Sinn sagen, ist „eingefrorene“ Improvisation. Das Wesentliche an dieser Vorstellung ist eine Wert-Umkehr der gängigen Vorstellung in der westlichen Kunstmusik, in der Improvisation stets als der Komposition irgendwie unter- bzw. nachgeordnet empfunden wurde. Folgt man Baileys Beobachtungen, wird aber klar: Jegliche musikalische Formbildung entstand irgendwann aus mehr oder minder „absichtsloser“ Improvisation. Die Sonate wurde nicht auf dem Notenpapier erfunden, sondern ist Derivat ziellosen Herumklimperns auf dem Clavichord. Kompositorische Epochen und Stile sind also lediglich, so verstanden, im Nachgang algorithmisierte Auswüchse unablässiger improvisatorischer Praxis neugieriger (und gelangweilter!) KlimpererInnen. Im Jazz weiß das jedes Kind, doch sich bsp.weise Beethoven oder Richard Strauss beim suchenden und verwerfenden Herumstümpern am Klavier vorzustellen, scheint weiterhin schwierig zu sein für viele Menschen.
Die Idee der Konzeptmusik, also dem Ausdenken einer Musik im Kopf ohne jeglichen Kontakt mit einem Musikinstrument gibt es freilich auch, aber sie ist relativ neu und bsp.weise nebenan in Johannes Kreidlers Blog „Kulturtechno“ zu bestaunen.
Weiter mit «Ein Prozess (2008)» für Melodieinstrumente
Für mich ein völlig neues herausragendes Hörerlebnis – gibt hiermit gleich noch ein Extrasternchen! 🙂
Und allen noch ein den Umständen entsprechend angenehmes Osterfest!
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@Volker: Heißen Dank, mein Gutster! Speziell im Falle des zweiten Satzes „Lichte Momente“ lohnen sich tatsächlich hochauflösende Boxen mit sattem Bass (wg. Kontrafagott 😉 ).
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Ich bin eben beim ersten Satz „Tristesse“ und möchte schon zu diesem Zeitpunkt meinen Eindruck dazu berichten. Es rührt mich, spricht mich an in mich zu gehen. Vor allem die Streichinstrumente geben eine wunderbare Dynamik dazu
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In der Mitte ist es mir persönlich Ewas zu hektisch. Der letzte Satz kommt mir und meinem Gefühl wieder am nächsten. ich bin eben ein Fan der leisen, nachdenklichen Töne. Alles in allem muss ich sagen ein sehr gelungenes Werk.
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@Sandra: Liebste Sandra, wie schön, dass du Zeit zum aufmerksamen Hören gefunden hast. Mehr kann ein Komponist nicht erwarten, ich danke dir. Und jetzt weiterarbeiten, besser werden…
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