Rosenthal über das Dresdner Bürgertum

S. Rosenthal: „Rorschach oliv rot goldgelb“ (2019)

Ok, Dresden ist eine provinzielle Beamtenstadt – und wer hier als Künstler existieren (von „leben“ rede ich gar nicht) möchte, der spielt irgendwann auch Beamtenmikado, ist zu allen scheißnett und wird mal hier, mal dort von irgendeinem genauso rückgratlosen Provinzgroßkunstsammler zum Kaffeekränzchen in seine klimatisierte Altbauwohnung eingeladen – und darf dann in seinem Büro, im Stadtmuseum oder in irgendeinem zweitklassigen Schickeriarestaurant ausstellen. „Das ist ja dann auch gute Werbung für dich!“ Alles gaaanz toll… Nur eines darf man niemals tun: widersprechen, eigene Meinungen vertreten! Man soll sich still und nett beugen und diesen Leuten für jedes Almosen ihr Ego auf Hochglanz polieren! Und man lernt solches Verhalten ja schon an der Kunstakademie. Was meinen Sie, wie man ausgegrenzt wird, wenn man seinem Professor widerspricht oder einem seiner Lieblingsstudenten? Da lernt man, was Freiheit wirklich bedeutet! Insofern ist die Dresdner Kunstszene sicher Vorreiter jener neuen Bürgerlichkeit, von der ich bereits sprach. Sie wird sich nicht wehren, wenn die AfD sie zu Eierschecke püriert.

Wolfgang Ullrich / Simon Rosenthal: Pandemie des Nichts. Simon Rosenthal im Gespräch mit Wolfgang Ullrich. | atelier-simon-rosenthal.de 2020-05-06

Simon ROSENthal (nicht Wiesenthal!) ist gebürtiger Saarbrücker und 36 Jahre alt. Das o.g. Interview, in dem es beileibe nicht nur um Dresden, ja nicht einmal nur um Kunst geht, umfasst gedanklich dichte 42 Druckseiten inklusiver guter Reproduktionen aller im Text angesprochenen Arbeiten des Künstlers und sei hiermit der geneigten Weltsicht-LeserIn ausdrücklich zur Sonntagslektüre anempfohlen.

5 Kommentare zu „Rosenthal über das Dresdner Bürgertum

  1. OOohhh, ich denke, ich weiß, wovon Rosenthal da spricht! Ich will zwar nicht ungerecht sein, ob es jetzt an Dresden liegt und nicht in anderen Städten auch so ist, aber seine Darstellung entspricht der einen oder anderen Wahrnehmung, wenn ich mich mal in Dresden rumtreibe…

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  2. Man kann das, als in Dresden lebender Künstler, alles mitmachen, was Simon kritisiert oder auch nicht. Ein wirklich freier Künstler kann sich auch die Freiheit heraus nehmen nur mit Leuten zu kooperieren, mit denen er auf einer Welle surft. Als Künstler sollte es einem eigentlich (fast) egal sein wo man wohnt. Und ganz uninspirierent ist das Umfeld in Dresden nicht, das Schlechte sollte einem einfach egal sein.

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  3. Bin emigriert.
    Lebe heute im Rheinland.
    Auch hier gibt es Klüngel- das ist mir klar. Der sächsische und der rheinische Klüngel sind aber in markanten Punkten verschieden und die Mentalitäten könnten kaum verschiedener sein.
    Die neuen Bundesländer sind, was ihre heutige „Oberschicht“ betrifft, zumeist geprägt einerseits durch ehemalige Kader, andererseits durch jene Heuschrecken, die nach der Wende über diese Länder hergefallen sind. Sie haben die – zu weiten Teilen vom Systemwechsel völlig überforderten – ehem. DDR-Bürger übers Ohr gehauen und die ganzen historischen Immobilien und die besten Baugründe an ihresgleichen vertickt. Das prägt bis heute die starken Vorbehalte der „Ossis“ gegenüber den „Wessis“. Was diese Abzocker sich jedoch (bis heute) nicht ergaunern konnten, ist Kultur. Sie sind sich selbst und dieser Gegend fremd und oft sehr ignorant. Dementsprechend ist der ehem. Osten noch heute zu großen Teilen eine Brache, was das private Engagement für die Bildende Kunst betrifft.
    Ernsthaftes Kulturverständnis haben dort oft eher die einfachen Leute (die noch in der ehem. DDR groß geworden sind), wenn sie auch meistens nicht über das Kapital verfügen, sich als Sammler zu Betätigen. Aber ein paar wenige Ausnahmen gibt es- das muss man fairerweise sagen. Kunst und Kultur scheinen damals oft ziemlich gut vermittelt worden zu sein- selbst, wenn alles unter ideologischen Vorzeichen stand.
    Ein gewisser Nachteil für die junge, zeitgenössische Kunst ist es, dass man in der ehem. DDR wenig Offenheit für Neues zeigt. In Dresden fällt aber z.B. der Neue Sächsische Kunstverein für meine Begriffe positiv auf. Und die Galerie Gebr. Lehmann macht seit langem eine einsame Spitzenposition in der jungen Kunst aus- aber es ist halt leider nur eine einzige, namhafte Galerie, die sehr eng mit ihrer kleinen Sammler- und Künstlerschaar dort zusammenarbeitet. Leipzig fällt insgesamt immerhin etwas mehr aus dem Schema, wobei ich fast das Gefühl habe, dass die progressive Bewegung, die wir von dort kennen, immer bürgerlicher und lahmer wird.
    Im Rheinland hingegen sind die Leute bemerkenswert offen für Neues und die Bildende Kunst hat durchweg einen ziemlich hohen Stellenwert. Zum Einen hat das sicher etwas damit zu tun, dass man hier auf eine längere, ungebrochene Zeit des Wohlstandes zurückblickt zum Anderen ist es sicher auch ein Erbe der hier dominierenden, katholisch- geprägten Geistesgeschichte. Die Kunstwelt profitiert hier auch noch von den visionären Kunstvermittlern der Wirtschaftswunderepoche, wie z.B. Hans-Jürgen und Helga Müller und Gisela Capitain.
    Neulich musste ich hier in einem Baumarkt beweisen, dass ich Unternehmer bin, um- trotz Coronaauflagen- hinein zu kommen. Aber als Künstler hat man meist keinen Nachweis darüber- und wenn, dann nicht dabei. Da habe ich den beiden Damen am Einlass einfach auf dem Smartphone meine Homepage gezeigt. Das, was sie zuerst sahen, war meine Batikarbeit „Mixed Colors (being colorful is not just a priviledge of gay people and minorities)“. In Dresden wäre ich mit der Nummer niemals hinein gekommen- denn dort kann Batik schon aus formalen Gründen keine Kunst sein (obwohl das ganze Albertinum voll mit Gerhard Richters planiertem Palettendreck hängt). Aber diese beiden Mitarbeiterinnen, die sicher nicht älter, als Ende 20 waren, waren begeistert! Eine hat mir sogar später noch geschrieben, dass sie das Interview „Pandemie des Nichts“ „richtig geil!“ fand- sie hatte es sich auf meiner Homepage heruntergeladen:-)

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  4. Noch ein Nachtrag zu Dresden: Einer, der mich und viele Andere in der Dresdner Kunstwelt sehr fasziniert hat, ist Holger John als Künstler und Galerist. In der Dresdner Kunstszene ist er ein richtiger Leuchtturm, der es schafft, diese ganze, vom Kulturschock der Wendezeit immer noch zerrissene Gesellschaft, die Alten, wie die Jungen, über seine Veranstaltungen zusammen zu bringen. Solche Menschen braucht es (mehr), um eine Kunstszene eine Kunstszene nennen zu können! war mir noch wichtig, zu sagen.

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