Nischel (Chemnitz), 2012

„Nischel“, so wurde mir von jemandem gesagt, der es wissen muss, ist die volkstümliche, d. h. in diesem Fall sächsische, Bezeichnung für die Karl-Marx-Großplastik, die im Zentrum von Chemnitz steht, welches im letzten Jahrhundert 37 Jahre lang „Karl-Marx-Stadt“ hieß. „Nischel“ heißt auf hochdeutsch „Kopf“.

Nun, dieser riesige Kopf wirkt nicht nur bedrohlich, er wurde auch wiederholt Schauplatz entsprechender Menschenansammlungen, z. B. bei seiner Einweihung 1971 (siehe unten), aber auch während der Ausschreitungen 2018, während denen ich mich sogar zufällig im benachbarten Erzgebirge aufhielt.

Monumentale Nischelweihe 1971 (Quelle: Wikipedia)

Ausschnitt aus der Original-Legende für das obenstehende Bild:

Am Abend des 9.Okt. 1971 legten 15 000 Mitglieder der Pionier-Organisation … vor dem … Denkmal des Begründers der wissenschaftlichen Weltanschauung des Kommunismus ihr Bekenntnis zum … sozialistischen Vaterland ab.

„Wissenschaft“, „Kommunismus“ und „Vaterland“ in einem Satz: das war schon eine ganz erstaunliche Ideologie, eine krude Verklammerung von Technikgläubigkeit, Kollektivismus und Nationalismus. Die Verwandtschaft mit Hitlers Begriffsgebräu „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ springt einem hier besonders deutlich und schmerzhaft ins Auge.

Nischeldemo 2018 (Quelle: taz)

Auch den Menschen, die sich vor vier Jahren vor Chemnitzens Wahrzeichen versammelten, ging es ums Vaterland – allerdings nicht um das sozialistische. Die Schlagworte „Wissenschaft“ und „Kommunismus“ hörte man dagegen nicht. Eher schon Begriffe wie „Volksgemeinschaft“ und „Abendland“. Anschließend wurden als der abendländischen Volksgemeinschaft nicht zugehörig Empfundene ein wenig durchs Städtchen gehetzt. Das einzige koschere Restaurant in Sachsen wurde demoliert, sein Betreiber verletzt.

Der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (übrigens verheiratet mit einer Frau, die nicht der abendländischen Volksgemeinschaft zugehörig ist) bezeichnete ein Video, das die Hetze zeigt, als nicht authentisch, ohne dies belegen zu können, was ihn letztendlich den Job kostete.

3 Kommentare zu „Nischel (Chemnitz), 2012

  1. Hitlers Begriffsgebräu – ich denke, die Verwandtschaft beruht darauf, dass es sich um totalitäre Systeme handelt, bei denen Propaganda essentiell dazugehört…

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    1. @Volker: Ich war vor allem von der Wendung „sozialistisches Vaterland“ verblüfft. Zumal hinter dem Nischel vielsprachig die Vereinigung der Proletarier aller Länder gefordert wird, also gerade die Auflösung traditioneller Vaterländer zugunsten eines kommunistischen Superstaats. Komplett widersprüchlich. – Ich weiß natürlich, dass das Propaganda eines totalitären Staates war, aber manchmal finde ich es instruktiv, diese vollmundigen Thesen ernstzunehmen.

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