Ukraine-Update

Ukraine ca. Januar 2023 (keine Szene aus „Im Westen nichts Neues“)
Quelle: Facebook-Kanal Volodymyr Selenskyj

Das langsame Sterben dieser 44-Millionen-Menschen-Nation geht weiter. Die Ukraine hatte etwa so viele Einwohner:innen wie Spanien. Der Westen beruhigt sein schlechtes Gewissen mit vollkommen unzureichenden Waffenlieferungen und einem vermeintlich glamourösen Auftritt Selenskyjs vor dem US-Kongress.

Abgesehen von kleineren Anfangsproblemen kann Putin sich jetzt schon als großer Sieger fühlen:

  • Die territoriale Integrität der Ukraine sowie ihre physische Funktionalität sind zerstört.
  • Der Westen ist gespalten in halbherzige Unterstützer und pseudo-pazifistische Abwiegler.
  • Russland und China sind engere strategische Partner geworden, die Abwendung Brasiliens, Indiens und Südafrikas vom Westen steht unmittelbar bevor.
  • Russland hat sich von der Autokratie in eine Militärdiktatur gewandelt, Restbestände einer Zivilgesellschaft wurden rückstandslos eliminiert bzw. exiliert.

Putins Narrativ vom dekadenten Westen, der der Leidensfähigkeit Russlands außer hohlen Phrasen nichts entgegenzusetzen habe, hat sich voll bewahrheitet. Es ist davon auzugehen, dass er sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterhin territoriale Scheibchen Europas einverleiben wird. Der Westen wird wohl weiter reagieren wie bisher: Erst totale Empörung, dann kritische Selbstreflexion, schließlich ein bisschen militärische Gegenwehr und am Ende die Einsicht, dass Krieg unzeitgemäß und ökonomisch unsinnig sei.

Der strategischen Hintergrundunterstützung rechtspopulistischer und rechtsradikaler Bewegungen in Europa durch Russland war und ist ein beispielloser Erfolg beschieden. Mir ist kein großes europäisches Land mehr bekannt, in dem es keine bedeutende rechte Partei gibt, die Russland freundlich zugeneigt ist. Diese Parteien adressieren erfolgreich reale und legitime Probleme und bieten dann Lösungen außerhalb der bestehenden liberalen Demokratie an. So wächst auch bei liberal gesinnten Bürger:innen die Überzeugung, die westliche Ordnung sei der Lage nicht mehr gewachsen und ein Übergang zur illiberalen Pseudodemokratie unausweichlich.

Credits: s. o.

Die demokratische Linke hat ihr universalistisches Emanzipationsnarrativ vergessen und kämpft stattdessen an tausend kleinen Fronten identitätspolitische Scharmützel aus, die all ihre Kräfte restlos absorbieren. Sie geht weiter davon aus, dass wir in einem postheroischen Zeitalter jenseits des Endes der Geschichte leben. Der russische Angriffskrieg wird als legitime Antwort auf den US-Imperialismus weg-interpretiert. So wirkt diese gesellschaftliche Kraft auch ohne große Hintergrundunterstüzung durch Russland an der Zersetzung westlicher Resilienz, wenn auch ungewollt, mit.

Wer möchte, dass der Krieg möglichst schnell endet, sollte sich dafür einsetzen, dass Waffen nicht an die Ukraine, sondern an Russland geliefert werden. Jegliche Unterstützung der Ukraine bewirkt eine Verlängerung des Krieges mit mehr Toten auf beiden Seiten. Selenskyjs Ablehnung einer „Mitfahrgelegenheit“ zu Beginn des Krieges war das Schlimmste, was dem Westen geopolitisch passieren konnte.

Was die Folgen für Deutschland betrifft, ist die Frage nach Waffenlieferungen gar nicht so entscheidend, denn, egal, wie der Krieg ausgeht, eine gravierende Destabilisierung wird es in jedem Fall geben:

  1. Wird die Ukraine annihiliert, gibt’s einen gigantischen weiteren Flüchtlingsstrom, Massenmisshandlungen und -deportationen in der Ukraine und einen potentiell unendlich langen Partisanenkrieg inkl. ukrainischer Exilregierung in Polen oder sogar Deutschland. Wer darauf besteht, dass dies doch „nicht unser Krieg“ sei, bevorzugt diese Option.
  2. Bleibt die Ukraine, in welcher Form auch immer, bestehen, werden wir viele Jahre lang riesige Summen in deren Wiederaufbau und weitere Verteidigung stecken müssen (nicht nur aus Solidarität, sondern auch, um o. g. Fluchtbewegung zu vermeiden), die dann anderswo fehlen. Das wiederum wird für soziale Unruhe und evtl. Ukrainer:innenfeindlichkeit in Deutschland und anderswo sorgen.

Wir haben also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Fck Ptn.

Unterdessen befindet sich die Rentner:innenrepublik Deutschland trotz allem weiterhin im nostalgischen Friedensmodus. Das Land ist viel zu reich, träge und selbstzentriert, um sich der veränderten Weltlage anpassen zu können. Die Kräfte, die eine entschlossene Unterstützung der Ukraine befürworten, werden als verantwortungslose „Bellizisten“ verspottet, die Russland dazu nötigten, die Welt in den Dritten Weltkrieg zu stürzen.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine beteiligt sich mit dem friedensbewegten Theologen Eugen Drewermann an dem Sammelband Ein willkommener Krieg? NATO, Russland und die Ukraine, der im direkten Umkreis von Götz Kubitscheks rechtsextremem Antaios-Verlag publiziert wird. Linke public intellectuals verfassen pazifistische Manifeste im Stil der 1980er-Jahre, die die störende und störrische Ukraine immer mal wieder zur Kapitulation auffordern. Die kremlgestützte deutsche Rechte ist begeistert.

Und im Osten Deutschlands freuen sich scheinbar viele DDR-Gelernte wie Bolle, den wie immer übel arroganten Westlern durch ihr Verständnis für Russlands Handeln mal wieder Rätsel aufgeben zu können, hehe. Einige erinnern sich vielleicht gerade jetzt besonders zärtlich an ihre Russisch-Schulbücher. Will uns der Westen denn alles nehmen, klagen sie, selbst unseren Kinderglauben an die deutsch-sowjetische Völkerfreundschaft?

Die Einsicht, dass wir uns, wenn kein Wunder geschieht, auf eine Zukunft unter permanenter russischer und chinesischer Einschüchterung einzurichten haben, will sich in dieser gesellschaftlichen Gemengelage nicht recht durchsetzen. Schließlich macht Gottschalk wieder „Wetten, dass..?“ und die ABBA-Hologramme werden ewig jung bleiben. Was soll schon passieren?

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