Keys XKEYSCORE

Vorgestern morgen erschien ein von Edward Snowden höchstpersönlich verfasster Text zur Datensicherheit in Neuseeland in Glenn Greenwalds Blog The Intercept (ja, das ist ein Wortspiel, „to intercept“ bedeutet, u. a., „abfangen“). Er bezichtigt darin den amtierenden neuseeländischen Premierminister Key, der die anlasslose Massenüberwachung privater Internet-Nutzungsdaten in seinem Land durch den dortigen Geheimdienst GCSB bisher stets leugnete, der Lüge. Wahr hingegen, so Snowden, sei folgendes:

At the NSA I routinely came across the communications of New Zealanders in my work with a mass surveillance tool we share with GCSB, called «XKEYSCORE».

Snowden verweist nachdrücklich auf ein besonders pikantes Programmdetail, die Checkbox „Five Eyes Defeat“. Sie sei in der Voreinstellung aktiviert, d. h., zunächst durchforste XKEYSCORE immer nur das jeweils nationale Internet. Aber:

When an officer of the government wants to know everything about everyone in their society, they don’t even have to make a technical change. They simply uncheck the box.

Wird also „Five Eyes Defeat“ de-aktiviert, trudeln auch die XKEYSCORE-Ergebnisse der restlichen „vier Augen“ Australien, Kanada, Großbritannien und, vor allem, der USA ein. Gleichzeitig, wenn ich das richtig verstanden habe, werden die Ergebnisse der neuseeländischen Suche den anderen „vier Augen“ mitgeteilt. Snowden,  sonst eher nüchtern gestimmt,  wird hier ungewohnt pathetisch:

One checkbox is what separates our most sacred rights from the graveyard of lost liberty.

Unter rhetorisch eleganter Beibehaltung der Checkbox-Metapher fährt er mit einer Anspielung auf die bevorstehenden neuseeländischen Parlamentswahlen fort:

This government may have total control over the checkbox today, but come Sept. 20, New Zealanders have a checkbox of their own.

Und schließlich, in Anspielung auf Keys Partei, der neuseeländischen „National Party“:

National security has become the National Party’s security.

So direkt hat Snowden meines Wissens noch nie auf aktuelle politische Entscheidungsprozesse Einfluß zu nehmen versucht. Wird John „Xkeyscore“ Key am 20. September wiedergewählt, dürfte Edward Snowden wohl der letzte sein, dem er jemals politisches Asyl gewährt.

Snowden klagt an – die NSA antwortet

Vor 3 Tagen stellte sich der Welt berühmtester Whistleblower im kanadischen Vancouver den Fragen des britisch-pakistanischen Journalisten Chris Anderson. Später kommt dann noch niemand Geringeres als Tim Berners-Lee dazu – einzig, um Snowden Respekt zu zollen und ihm virtuell die Hand zu schütteln.

(Über die Bedienleiste des Players lassen sich englischsprachige Untertitel einblenden, was die Sprachverständlichkeit sehr verbessert.)

 

Neben seiner ja schon fast sprichwörtlich gewordenen Zivilcourage beweist Snowden hier auch beträchtlichen Mutterwitz sowie nicht unerhebliches rhetorisches Talent. Die NSA hat also tatsächlich allen Grund, ihn zum Teufel zu wünschen.

Stattdessen schickt sie ihren Vizechef Richard Ledgett zwei Tage später (also gestern) zur gleichen Konferenz (zumindest virtuell). Dessen verkrampft-seriöses, dabei bleiern langweilig-staatstragendes Statement ist nicht frei von unfreiwilliger Komik. Als ihn Anderson gegen Ende fragt, was denn seine „idea worth spreading“ sei, sagt er doch wirklich: „Look at the data!“ (im Sinne von: Informiere dich so vielseitig wie möglich.) – Genau das ist Menschen, die nicht für die NSA arbeiten, aber nicht möglich. Und aus allem, was Ledgett sagt, gewinne ich den Eindruck, das sei auch ganz o.k. so, denn irgendwelche konkreten Fakten enthalten seine sorgfältig abgedichteten Tiraden nicht.

Witzig auch, dass Ledgett Snowden wiederholt „Arroganz“ vorwirft (im Sinne von: es gehöre schon eine Menge Arroganz dazu, sich als einzelner anzumaßen, besser zu wissen, was im nationalen Interesse der USA liege, als die Granden der NSA). Nach allem, was von der Person Edward Snowden bisher zu hören und zu sehen war, ist er eines sicherlich nicht: arrogant. Im Gegenteil, immer wieder betont er, er als Person sei nicht so wichtig, es gehe ihm ausschließlich um die Sache.

Gut, das kann jeder sagen.

Aber was steht für Snowden auf dem Spiel?

Alles.

Und was für Ledgett und seine KollegInnen?

Prestigeverlust.

Der Vizechef des (vermutlich) größten Geheimdienstes der Welt (35.000 Angestellte) wirft einem einzelnen, zugegeben formal illoyalen ehemaligen Systemadministrator, der „irgendwo in Russland“ um seine physische Unversehrtheit bangen muss, „Arroganz“ vor?

Come on man, gimme a break!