Material Einige Fragmente aus «2011 (Star Trek)» MIDI-Editoren MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu), Cubase Temperierung alle Saiteninstrumente sind einen Viertelton tiefer gestimmt Sample-Bibliotheken VSL, Sonatina Symphonic Orchestra, VSCO2 Sample-Renderer [Host] Vienna Ensemble [Cubase] Audio-Editor Audacity Faltungshall San Diego Racquetball Court (EchoThief)
Kompositionsnotiz
Das Stück ist ein Derivat aus «2011 (Star Trek)» und so etwas wie eine Light-Version dieser Komposition. Auch die Besetzung – in der Reihenfolge des Auftretens: Marimbafon, Harfe, Kastagnetten, 3 Taikos, Klavier, Horn – ist demzufolge eine Teilmenge derjenigen von «2011 (Star Trek)». – Aus unklaren Gründen (Besetzung?) klingt das Stück sehr lustig, vor allem über den Schluss muss ich einfach immer wieder lachen. Gut so.
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Sind alle relevanten Dateien eines ePlayer-Stücks lediglich lokal abgespeichert, droht Totalverlust jahrelanger harter Arbeit, wenn der heimische Rechner oder eine externe Festplatte plötzlich den Geist aufgeben. Letzters ist mir erst kürzlich passiert – allerdings zufälligerweise ohne gravierende Folgen. Also muss ein robustes, wenn nicht gar antifragiles Archivierungskonzept her. Hier ist das meine:
Basics
Folgende Dateiarten sind relevant:
Die Partitur der Komposition in Form eines Standard MIDI Files *.mid
Die Instrumentation der Komposition in Form von Samplebibliothek-Konfigurationsdateien *.viframe, *.matrix, *.fxp
Sequencer-Projektdateien *.cpr
Kompositionsnotizen *.txt, *.rtf inkl. Screenshots vom Arbeitsprozess *.png
Verlustfrei komprimierte Audiodateien *.flac oder *.ofr (steht für OptimFROG, ein offenbar weitgehend unbekanntes Dateiformat von Florin Ghido, das besser als *.flac (!) komprimiert. Ich entdeckte es Anfang diesen Jahres zufällig im Netz und nutze es seitdem regelmäßig ohne Probleme. Sachen gibt’s.).
Und hier sollten sie gespeichert werden:
Rechner + Cloud Standard MIDI Files, Samplebibliothek-Konfigurationsdateien, verlustfrei komprimierte Audiodateien
Externe lokale Festplatte Kompositionsnotizen/Screenshots, Sequencer-Projektdateien
Geht’s auch weniger aufwendig?
Sicher. Nur die beiden folgenden Dateiarten sind wirklich unabdingbar:
Standard MIDI Files
Samplebibliothek-Konfigurationsdateien
Auch wenn alles andere verlorengeht, lässt sich allein mithilfe dieser geringen Datenmenge die Komposition neu rendern. Das funktioniert allerdings nur, wenn…
…alle Steuerbefehle für die Samplebibliothek im Standard MIDI File (und nicht etwa nur im Sequencer) enthalten sind. Aus diesem Grund speichere ich auch Artikulationswechsel von virtuellen Instrumenten immer als Control Changes ab.
…alle Daten auf einer MIDI-Spur dem korrekten Kanal zugeordnet sind.
Hintergrund: Bei den MIDI-Sequencern, mit denen ich gearbeitet habe, lässt sich die Kanalzuordnung einer Spur bequemerweise mit einem Mausklick im Spurkopf einstellen. Das Standard MIDI File wird dann zwar vom Sequencer korrekt gerendert, schaut man sich aber die Datei an, stellt man fest, dass das nichts mit der tatsächlichen Kanalzuordnung zu tun hat. Der Sequencer leitet offenbar lediglich alle Daten einer Spur auf den gewünschten Kanal um und lässt dabei das Standard MIDI File physisch unverändert.
…alle sequencerseitigen Automatisierungen (Loops, nonlineare Abfolge einzelner Abschnitte) im SMF abgebildet sind.
Und natürlich muss die verwendete Samplebibliothek zur Verfügung stehen. Da ich freie Bibliotheken bevorzuge, die einfach so im Netz stehen, entfällt hier die Archivierungspflicht. Sollten gekaufte Bibliotheken verlorengehen, sollte man diese anhand des Kaufbelegs erneut vom Server des Herausgebers herunterladen dürfen – hier fehlt mir allerdings eine entsprechende Erfahrung. Ist das schon mal jemandem passiert? Falls ja, bitte einen Kommentar posten, wie es euch ergangen ist.
Kompositions-Software Music Mirror (T. Katsuda), Cubase MIDI-Editoren MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu), Cubase Temperierung gleichschwebend, aber alle Saiteninstrumente [^1] sind einen Viertelton (50 Cent) tiefer gestimmt als der Rest des Orchesters Sample-Bibliotheken Vienna Symphonic Library Special Edition, außer Marimbafone (VSCO2) und Klaviere (Sonatina) Faltungshall Large Stanford Stairwell
Abb. 2 Die ursprüngliche Betitelung der Reihe «Jahreszahlen» wurde inspiriert durch die Art und Weise, wie Robert Fripp seine Frippertronics-Tracks auf dem Album „Let The Power Fall“ benannte. Obwohl das Album 1981 erschien, nannte er die Stücke „1984“, „1985“ etc. Daraus leitete ich das Prinzip ab, die «Jahreszahlen» inkrementell nach Jahreszahlen zu benennen, beginnend mit «2003», dem Jahr, in dem das erste Stück entstanden war. Auch als Entstehungsjahr und Betitelung begannen, auseinanderzufallen, behielt ich dieses Prinzip bei.
«2011» setzt die Reihe der «Jahreszahlen»-Kompositionen, die im Jahr 2003 mit dem Orchesterstück «2003» begann, fort. Aber warum heißt das Stück dann 2011, wo es doch im Jahr 2018 komponiert wurde? Nun, irgendwann, nachdem ich jahrelang kein neues Stück zuwege gebracht hatte, beschloss ich, die Betitelung der «Jahreszahlen» dennoch beizubehalten, aber als rein numerische Ordnung. «2011» ist also keine Vertonung dessen, was ich in diesem Kalenderjahr so erlebt habe. Angesichts einer fehlenden Semantik kann Instrumentalmusik ohnehin generell nichts vertonen, was intersubjektiv verlässlich wiedererkennbar wäre bzw., wie der hierzulande leider ziemlich unbekannte französische Musikphilosoph Jankélévitch sagen würde: „Es gibt eine ‚musikalische Sprache‘ genau in dem Sinn, in dem es eine Blumensprache gibt.“
Die «Jahreszahlen» sind eine Reihe, wie etwa der „Tatort“, und keine Serie, wie etwa die „Lindenstraße“. Der Unterschied liegt in der narrativen Struktur: Eine Serie erzählt eine mehr oder weniger lineare Geschichte mit einem Anfang und einem Ende, eine Reihe umkreist ein Thema, einen Stoff oder sonstwas und ist ansonsten frei. Ihre Einzelbestandteile sind eben keine Ab-Folgen, sondern in sich geschlossene Entitäten. Lustigerweise fiel mir aber beim Anhören nach Abschluss der Arbeit an «2011» dann ausgerechnet eine Fernsehserie ein: „Star Trek“ bzw. „Raumschiff Enterprise“, wie es in meiner Kindheit in schwarzweiß aus dem Televisor suppte. Ich koppelte diese Wahrnehmung mit der existenzialistischen Einsicht, dass man sich zur fröhlichen Bejahung der Kontingenz durchringen sollte, wenn man ihr schon nicht entkommen zu können scheint. Und so habe ich die Komposition schließlich «2011 (Star Trek)» für Orchester genannt, obwohl ich mir in keinster Weise vorgenommen hatte, eine musikalische Hommage an diese Fernsehserie zu komponieren.
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Zum ePlayer
Abb. 3 Im Herzen einer Sample-Bibliothek: Hinter „EH staccato“ in der rechten Bildhälfte steht bsp.weise die Aufnahme aller möglichen Töne, die ein Englischhorn hervorbringen kann, staccato in diversen Lautstärken eingespielt von einem echten Englischhornisten. Links die zugehörige Matrix (1A, 2A,…), mit der sich diese Samplesammlungen (im Programm „patch“ genannt) nach Wunsch zu Artikulationen choreographieren lassen, auf die dann in Echtzeit bsp.weise via MIDI zugegriffen werden kann. Für etwas bessere Auflösung bitte auf das Bild klicken.
Sieht man etwas nach einem Hiatus von 8 Jahren erstmals wieder an, fallen einem sofort Dinge auf, die man schon längst hätte verbessern können, wenn man sie weiland nur bemerkt hätte. So habe ich denn während des Kompositionsprozesses sämtliche verwendeten Artikulations-Matrizen (Erklärung siehe Text zu Abb. 3) nach meinen Bedürfnissen neu strukturiert. Das größte Problem bleiben die Streicher in ihrer allzu penetranten Ordentlichkeit, die Simulation der sonstigen Orchesterinstrumente hat mich in ihrem Naturalismus schon immer überzeugt und überzeugt mich auch weiter.
Im Prinzip ist «2011», wie alle meine Orchesterstücke, auch von einem konventionellen Sinfonieorchester spielbar, zumindest nach meinem, in diesem Bereich zugegeben nicht sonderlich hohen, Wissensstand. Aber darüberhinaus komme ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass meine Musik vermutlich einfach präziser, moderner und klarer klingt, wenn sie mithilfe eines wie auch immer gearteten ePlayers statt von einem herkömmlichen Klangkörper zum Klingen gebracht wird. Außerdem, ein unschlagbarer Vorteil, bin ich dann mein eigener Interpret und brauche mir keine weiteren grauen Haare wegen eventueller mieser Aufführungen wachsen zu lassen, die die Komposition schlechter aussehen lassen, als sie ist.2 Allerdings um den hohen Preis des Nichtstattfindens von „normalen“ Aufführungen.
Die Frage, ob ePlayer-Simulationen klanglich an „echte“ Einspielungen heranreichen, wird für mich immer unwichtiger, je länger ich so arbeite. Und eigentlich habe ich diesen ganzen Problemkomplex schon in meinem Essay Von der Tomate zur Tütensuppe. Evolution der ‚Neuen Musik‘ aus dem Jahr des Herrn 2012 abgearbeitet. Kurz gesagt: Der Vergleich von ePlayer-Einspielungen mit konventionellen Einspielungen ist sinnlos, da erstere ohnehin ganz allmählich ästhetisch, wenn auch nicht unbedingt klanglich, von letzteren wegdriften werden. Es ist ein bisschen wie mit Fotografie und Malerei: Die frühe Fotografie suchte die Malerei zu imitieren und wurde zurecht als defizitär verlacht. Dann besann sie sich auf das, was Malerei nicht kann. Der Rest ist Geschichte. Und – ganz wichtig – die Fotografie hat die Malerei nicht verdrängt, wie anfangs (von Malern) befürchtet.
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Kompositionstechnisches
Abb. 4 Ein Cubase-Screenshot vom 21. November, kurz vor Fertigstellung des Stücks. Für Ansicht in Originalgröße bitte auf das Bild klicken.
Vieles ist weiter Steve Reich und dem Techno geschuldet, die repetitiven grids, die diesmal besonders aufwendig ausgearbeitet sind, das Komponieren ohne Noten im Sequenzer, die Skepsis gegenüber expressivem Musizieren sowie generell die Vorliebe für modulare Architektur. Und meine Art, Melodien zu bauen (hier folge ich wie eh und je meinem unmittelbaren Ausdruckswillen und je älter ich werde, desto dankbarer bin ich dafür, dass ich mir dieses bildungsferne Ausdrucksmittel über die Jahre bewahrt habe), die von Tristano und Skrjabin beeinflusste Terz-Harmonik (die in einem neunstimmigen Akkordturm in der Mitte des Stücks kulminiert), etwas Mikrotonalität (Details in den Credits oben) sowie ganz allgemein der anti-expressionistische Einfluss Saties und Strawinskys erledigen den Rest.
Erstaunt war ich darüber, wie wenig musikalisches Rohmaterial ich diesmal benötigte. Neben den interlocking patterns für die Klaviere und Marimbas waren nur zwei kurze Improvisationen auf dem Desktop-MIDI-Keyboard notwendig, um ausreichend Stoff für 20 Minuten meist doch recht dicht gewebter orchestraler Musik zu erhalten. Hier kommen alle drei musikalischen Keimzellen als Standard MIDI Files3:
Modul 1: Interlocking patterns
Modul 2: Einstimmige Melodie
Modul 3: Mehrstimmige Begleitung dieser Melodie
Der Rest war „Komposition“ im engeren Sinne, also das Zusammenstellen, Permutieren, Herumschieben und Variieren dieser Zellen im MIDI-Sequencer. Diesmal habe ich hierfür meistens Cubase Elements 6 (unter Windows 7) verwendet und die Abstürze, für die ich vermutlich überwiegend nicht das Programm, sondern meine ADHS-geplagte Motorik verantwortlich machen muss, hielten sich erfreulicherweise sehr in Grenzen. Es gab nur einen größeren Arbeitsunfall, weil ich mal wieder eine Datei geschlossen hatte, ohne vorher abzuspeichern. Cubase hat seinen Schrecken – so viele Optionen, so viele Schalter! – verloren, es macht nun das, was ich will, zeigt nur das an, was ich will und macht sich ansonsten so unsichtbar wie möglich. Es gibt jetzt allerdings auch keinen Interface-Bestandteil mehr, der aussieht wie ab Werk.
Allerdings rauchte mitten im Projekt ohne jede Vorwarnung die externe Festplatte ab, auf der seit vielen Jahren die Vienna Symphonic Library und eine weitere käuflich erworbene Sample-Bibliothek gespeichert war. Erst kurz vorher hatte ich erstere aber klugerweise auf die interne Festplatte meines Laptops kopiert. Also Pfade umstellen und weitermachen. Ich würde in solchen Momenten immer ganz gerne Gott danken, wüsste ich denn, dass er existiert, denn der Glaube, dieser „einzig sichere Weg zum Glück“ (Wittgenstein), ist mir versagt. Also dankte ich behelfsweise, wie ein alter Grieche, dem Schicksal.
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Biografisches
Acht Jahre liegen zwischen der Fertigstellung meiner letzten Orchesterkomposition «2005» und heute. Eine lange Pause, angefüllt mit reichlich Depressionen, am brutalsten musikalisch dargestellt im ePlayer-Ensemble-Stück «Several Rooms of Sadness» aus dem Jahr 2017. Wer sich für diese Komposition interessiert, sei hiermit gewarnt: Sie will in Teilen unerträglich sein und schafft das meiner Meinung nach auch.
Daran wollte ich hier nicht anknüpfen, sondern an die guten Zeiten der Nullerjahre, in denen der erste Schub der «Jahreszahlen» entstanden war. Aber die Errungenschaften von damals hatten den Reiz des Neuen längst verloren und waren schließlich – vor allem während der Arbeit an «2010» – für mich zur Machart verkommen. Was nicht heißt, dass ich «2010» für ein mieses Stück halte, dass man sich nicht anhören sollte, denn sonst hätte ich es eingestampft, statt es zu publizieren. Es war nur so, dass danach für mich etwas zu Ende war. Was völlig normal und, jedeR KünstlerIn weiß das, vollkommen unvermeidlich ist, wenn man sich über viele Jahre einer Sache widmet. Die Hörerin mag davon gar nichts mitbekommen, doch es war Grund genug für mich, die Produktion erst mal einzustellen, denn ich war nicht mehr in der Lage gewesen, mich selber zu überraschen. Die Dinge gingen zu leicht von der Hand, was im Schöpferischen immer hochverdächtig ist.
Mit den an sich dämlichen Vorsätzen, jetzt endlich mal alles richtig zu machen, an alles zu denken, sich diesmal nicht durch ultrahohe Ansprüche an den eigenen Output selbst zu strangulieren und alle Ideen wirklich umzusetzen ist es mir schließlich dann irgendwann irgendwie gelungen, anzufangen. Und es gelang. Darüber hinaus ging es sogar ein Stück weiter. Und das Ding ist fertig und ich finde es schön, nur das zählt am Ende.
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1 d. h. in diesem Fall Violinen, Bratschen, Celli, Kontrabässe, Harfen und Klaviere
2 Der Horror jedeR KomponistIn!
3 Sollte der Browser diese bei Klick auf das Notensymbol nur herunterladen statt abzuspielen (was die Voreinstellung bei Browsern ist), einfach noch mal auf die heruntergeladene Datei klicken, das müsste dann den MIDI-Synthesizer auf eurer internen Soundkarte antriggern.
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Kurz vor seinem Tod 1996 hat der russische Ethnomusikologe und Musiker Dmitri Pokrowski eine ethnisierte und midifizierte Fassung von Igor Strawinskys Ballett Les Noces (=“Die Bauernhochzeit“) aus dem Jahr 1923 realisiert.
„Ethnisiert“ (diesen Begriff habe ich mir selbst einfallen lassen, er stammt nicht von Pokrowski) bedeutet hier den Einsatz traditionell intonierender slawischer VokalistInnen – in diesem Fall der SängerInnen aus Pokrowskis eigenem Ensemble – statt der üblichen, klassisch ausgebildeten, voluminösen und sehr vibratolastigen Opernstimmen.
„Midifiziert“ bedeutet, dass der Pianopart der Komposition zum guten Teil mit MIDI-getriggerten Keyboards (also ePlayern im heutigen Sprachgebrauch) realisiert wurde – eine historisch wohlbegründete Entscheidung Pokrowskis, hat Strawinsky doch selber an einer Fassung von „Les Noces“ mit Luthéal – einem vergessenen Musikautomaten der 1920er-Jahre – gearbeitet, die nur deswegen nicht zu Aufführung kam, weil dieses Instrument technisch noch nicht ausgereift war.
Blick ins Innere eines Luthéals, einem Selbstspielklavier, das auch Hackbrett- bzw. Cimbalom-ähnliche Sounds produzieren kann. Quelle: http://www.evertsnel.nl
Das Ergebnis dieser eigenwilligen Kombinbation aus Archaik und Futurismus ist – ich kann es nicht anders sagen – spektakulär: Selten hat mich die Interpretation einer Strawinksy-Komposition stärker berührt. Faszinierenderweise wirkt seine Musik moderner, wenn sie von traditionell intonierenden slawischen Stimmen gesungen und gesprochen wird, vielleicht, weil dadurch klarer wird, wie wenig seine Ästhetik mit der des 19. Jahrhunderts zu schaffen hatte. Die auf gespenstische Weise mechanistisch wie ein Orchestrion vor sich hintrillernden MIDI-Keyboards tun ein Übriges, den Eindruck des Fremdartigen zu verstärken.
Man vergleiche die Realisierung der exakt selben Komposition mit klassisch ausgebildeten Sängerinnen und Sinfonie-Orchester: Es wirkt – in meinen Ohren – gleich alles viel langweiliger / toter / abgestandener. Was meint ihr?
Vor ein paar Tagen entdeckte ich folgendes Werbevideo auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter:
Wenn das Ding nur halb so brauchbar ist, wie die PR tut, würde das Konzept ePlayer ja endlich ein angemessenes Interface bekommen. Noch ist das INSTRUMENT 1 (gut, ein bescheidener Name ist das ja nicht gerade) nicht käuflich zu erwerben – aber ich prophezeie jetzt einfach mal, dass das nicht mehr lange so bleiben wird. Auf mich macht die ganze Sache jedenfalls einen beunruhigend innovativen Eindruck.
Bereits im vergangenen Jahr publizierte die Firma Vienna Symphonic Library (VSL) eine Reihe von Interviews mit international erfolgreichen Filmmusik-Komponisten, die die Wiener Sample-Bibliothek zur Erstellung ihrer Soundtracks verwenden.
Das mit Abstand lohnendste ist m. E. das folgende mit David Newman (ein Cousin des Singer/Songwriters Randy Newman übrigens), der z. B. die Filmmusik für die köstliche SF-Parodie „Galaxy Quest“ (1999, an die Musik erinnere ich mich nicht) oder das so überaus populäre „Ice Age“ (2002, hab‘ ich nicht gesehen) schuf:
GLOSSAR
Mock-up Eigentlich „Attrappe“, hier: MIDI-Version einer Filmmusik, die mit Hilfe von Audiosamples zum Klingen gebracht wird. Um ein Mock-up eines Orchesterstücks zu erstellen, braucht man lediglich ein kleines MIDI-Keyboard (im Hintergrund des Videos sichtbar), das eine ausreichend komplexe Sample-Bibliothek (hier natürlich die der Firma VSL) mit den gewünschten Instrumenten antriggert. Ein Sequencer (hier: „Logic“ von Apple) speichert diese Aufzeichnungen (also letztlich: die „Komposition“ im Wortsinn) dann in Dateiform ab. Der komplette Kompositionsprozess kann sich also, falls gewünscht, ohne die Zuhilfenahme von Notenpapier abspielen (genau so erarbeite ich seit den Nullerjahren meine ePlayer-Kompositionen). Man muss keine Noten lesen können, um auf diese Weise beliebig komplexe Werke zu komponieren. Das ist – in a nutshell – die digitale Revolution der instrumentalen Musik auf klassischen Instrumenten (vgl. auch Harry Lehmann: „Die digitale Revolution der Musik„, 2012 und meine Kommentare dazu).
ePlayer Dieser Begriff wurde 2012 von Harry Lehmann im o. a. Werk geprägt. Er hat sich noch nicht allgemein durchgesetzt, wird aber mehr und mehr verwendet. Der Übergang vom Mock-up eines Hollywood-Komponisten (das ursprünglich ja nur ein Demo für partitur-unkundige Filmregisseure sein sollte) zur technisch autonomen (d. h. ohne reale Musiker am Rechner generierten) ePlayer-Version einer Komposition ist fließend, wie David Newman im Interview freimütig bekennt (ohne den Begriff „ePlayer“ zu verwenden). Was der Kinozuschauer heutzutage tatsächlich hört, wenn er in „Ice Age“ (oder irgendeinem anderen beliebigen Blockbuster) sitzt, ist ein Hybrid aus von realen Musikern eingespielten Klängen (was vor allem die Streicher, deren samplebasierte Simulation bisher noch nicht wirklich befriedigend gelang, betrifft) und Samples. – Ein „echter“ ePlayer wäre natürlich ein „Orchestersimulator“, auf dessen Datenverarbeitung man in Echtzeit Einfluss nehmen könnte – ganz wie der Dirigent eines echten Orchesters. Das von Paul Henry Smith konzipierte Fauxharmonic Orchestra setzt dies mit Hilfe einer Wii-Fernbedienung bereits um.
Der Musikwissenschaftler Dr. Dennis Schütze unterhält sich mit mir über den ePlayer. Das Gespräch fand am 2. März 2013 statt. Kamera: Ralf Schuster. Postprocessing: Stefan Hetzel.
Die besprochenen Realisierungen der Kompositionen «Streichquartett 2007», «2008» und «Streichquartett 2009» sowie einige PianoLogs können hier angehört werden.