La Monte Young, als Komponist gleichermaßen Konzeptualist wie Minimalist, an seinem Lieblingsinstrument, verm. um 1970 herum.
Liebe FreundInnen der Weltsicht,
die kommenden vier Samstage, also sowohl über die Feiertage als auch zwischen den Jahren, gibt’s hier jeweils eine neue Klavierkomposition, die stilistisch leichtfüßig zwischen Erik Satie, La Monte Young und Keith Jarrett hin- und herpendelt.
Der Imperial-Konzertflügel von Bösendorfer geht unten weiter: Er hat 9 zusätzliche Subbässe, die die Klaviatur auf 107 Tasten erweitern.
MIDI-Editoren Cubase, MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu) Temperierung nach La Monte Young Microtonal MIDI Software Harmonic, PianoTuner (F. Nachbaur) Sample-Bibliothek Bösendorfer Imperial-Konzertflügel (VSL) Sample-Renderer [Host] Vienna Ensemble [Freepiano] Faltungshall [Software] ORTF-Studiohall (Urheber unbek.) [FreeverbVST3_Impulser2] Audio-Editor Dark Audacity
Kompositionsnotiz
Zum Abschluss eines sorglosen Urlaubs mit Freunden auf der Ostseeinsel Rügen gab ich am 26. August 2017 eine Performance auf einem 4-oktavigen MIDI-Keyboard, deren Nachbearbeitung so viel Zeit in Anspruch nahm, dass ich die resultierende Komposition «Lobber Ort» erst jetzt – 8 Monate später – präsentieren kann.
Haltepedal habe ich damals keines verwendet, wie man im Foto rechts sehen kann („Birkenstock is my shoe…“ [M. Eggert]). Von der Echtzeitoktavumschaltung habe ich dagegen reichlich Gebrauch gemacht, hat der Bösendorfer Imperial, dessen Samplebibliothek ich verwendete, doch exakt den doppelten Tastaturumfang wie die Plastetastatur, die mir auf Rügen zur Verfügung stand.
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Vielleicht ist die Eine oder der Andere nach der Veröffentlichung meiner Komposition „For La Monte Young“ am vergangenen Sonntag ja neugierig auf das Vorbild geworden. Hier jedenfalls ist es:
Das Video zeigt eine vollständige Performance des Werks durch seinen Urheber und dauert sagenhafte 6 Stunden und 42 Minuten. Allein physisch ist es beeindruckend, wie Young das durchhält …
Der Imperial-Konzertflügel von Bösendorfer geht unten weiter: Er hat 9 zusätzliche Subbässe, die die Klaviatur auf 97 Tasten erweitern.
MIDI-Editoren Cubase, MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu) Temperierung nach La Monte Young (siehe Kompositionsnotiz) Microtonal MIDI Software Harmonic, PianoTuner (F. Nachbaur) Sample-Bibliothek Bösendorfer Imperial-Konzertflügel (VSL) Sample-Renderer [Host] Vienna Ensemble [Freepiano] Faltungshall [Software] ORTF-Studiohall (Urheber unbek.) [FreeverbVST3_Impulser2] Audio-Editor Dark Audacity
Kompositionsnotiz
Seit Ende der 1950er-Jahre begann der US-amerikanische Saxofonist, Jazz-Musiker und spätere spiritus rector der Minimal musicLa Monte Young, sich mit alternativen Temperierungen außerhalb der allgemein üblichen, gern „wohltemperiert“ genannten gleichstufigen Stimmung von Instrumenten zu beschäftigen. Im Jahr 1964 schälte sich schließlich ein konkretes Gegen- oder Reform-Modell heraus, welches er, nicht unbescheiden und in bewusster Anlehnung an J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier, well tuning nannte.
Die blasse Linie markiert die Struktur der gleichstufigen Standard-Stimmung innerhalb einer Oktave, die dunkle Youngs Well Tuning. Einheit: Cents (=1/100 eines temperierten Halbtonschrittes). Der Basiston ist Eb („0“ auf der X-Achse). Bemerkenswerterweise weist Youngs Skala zwei „Knicke“ (eingekrakelt) auf, bei denen der nachsthöhere Ton auf der Klaviatur etwas tiefer klingt als der vorherige, was eine durchaus surreale Erfahrung beim Klavierspielen erzeugt.
Ab diesem Zeitpunkt performte Young immer mal wieder stundenlang auf einem Bösendorfer Imperial-Konzertflügel, den er vorher in dieser Skala gestimmt hatte. Das Ganze, also Temperierung und Performance, nannte Young dann The Well-Tuned Piano.
Wie genau ein Klavier denn nun zu stimmen ist, damit es well-tuned genannt werden darf, darüber hat sich der zum Isolationismus neigende Komponist nach meinem Kenntnisstand bis heute nicht öffentlich geäußert. Der Musikologe Kyle Gann hat die Skala aber Anfang der 1990er-Jahre aus Youngs Performances herausgehört und sie – nach eigenen Angaben mit dem Segen des Komponisten – schließlich 1997 hier ins Netz gestellt.
Einer digitalen Implementierung stand nun nichts mehr im Wege. Und genau das tat ich zehn Jahre später.
Analog zu Young begann ich anschließend, auf meinem nun well-getuneten MIDI-Keyboard zu improvisieren, erst nur kurz, dann etwas länger, schließlich – nach einigen Wochen und Monaten – immer ausgiebiger und entspannter. Es ging mir dabei darum, mich so gut an die Skala zu gewöhnen, dass ich sie nicht mehr als „anders“ oder gar „falsch“ wahrnahm. Nach einiger Anlaufzeit gelang dies erstaunlich gut.
Das in meinen Ohren mit Abstand überzeugendste Ergebnis dieser Bemühungen lieferte der knapp viertelstündige PianoLog 2010-11-06, den ich hier – nach mehrmaliger Durchsicht und Bearbeitung – nun als Komposition «For La Monte Young» präsentiere. Die Komposition lehnt sich zunächst eng an Youngs Spielweise an, bevor sie ab Minute 9 mehr und mehr eigene Wege geht.
Was genau La Monte Young dazu bewog, seine Skala gerade so und nicht anders zu kalibrieren, hat wohl mindestens so viele „pythagoräische“, d. h. spekulativ-esoterische, wie musikalische Gründe. Wer, im Gegensatz zu mir, Spaß an der Anwendung Elementarer Zahlentheorie auf die Konstruktion musikalischer Skalen hat, kann sich auf Kyle Ganns Homepage gerne diesbezüglich erschöpfend informieren.
Mich interessiert Youngs Skala weniger als Quintessenz arkanen Wissens als vielmehr, weil sie heutzutage problemlos auf einem handelsüblichen MIDI-Keyboard implementierbar ist und weil sie – im Gegensatz zur sonstigen oft eher nach Horrorfilmsoundtrack und/oder Entfremdung klingenden Mikrotonalität in der Neuen Musik – tatsächlich gut klingt.
Es scheint mir, als habe Young hier in einer glücklichen Mischung aus musiktheoretischer Reflexion, psychoakustischem Wissen und musikantischer Praxis heraus tatsächlich ein neues Tool für KunstmusikkomponistInnen entwickelt, mit dem es sich trefflich arbeiten lässt.
Denn sein Well-Tuned Piano ist zwar „mikrotonal“ im Sinn der Neuen Musik, doch handelt es sich im Gegensatz zu den häufig unpraktikablen Ideen aus dieser Szene, z. B. die Unterteilung der Oktave in mehr als 12 Tonstufen oder gar die völlige Abschaffung des Oktavprinzips (beide Ansätze machen den Bau neuartiger Nicht-Standard-Klaviaturen notwendig), um eine nahezu „bodenständige“ und in jedem Fall nicht-elitäre Realisierung von Mikrotonalität und damit eine echte Erweiterung des musikalischen Basisvokabulars.
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Dorian Supin, Autor, Regisseur und Kameramann dieses knapp einstündigen Films, ist voller Respekt und Verehrung für den baltischen Meister. In der auch wg. ihrer Dauer bemerkenswerten Schlüsselszene sieht man – siehe YouTube-Vorschaubild oben – Pärt ausgiebig das Haupt inkl. legendär hoher Stirn auf dem Glanzlack eines Konzertflügels, dem er offenbar gerade ein paar Töne abringt, ekstatisch hin- und herrollen. Dazu hört man allerdings nicht den O-Ton, was zweifellos interessant, aber vermutlich musikalisch „unvollkommen“, weil improvisiert, gewesen wäre, sondern ein, natürlich perfekt interpretiertes, Pärt-Wärk [sorry, zwanghaftes Wortspiel] aus der Konserve.
Ich bin fern davon, Pärt die religiöse Inbrunst abzusprechen, wer bin ich denn, ein mieser kleiner Agnostiker, sonst nichts, aber gewisse Selbstdarstellungstalente spielen bei seinem gigantischen Publikumserfolg denn sicher auch eine nicht unwichtige Rolle. Supin lässt sich leider vom Super-Ego des Esten vollkommen in Beschlag nehmen und zeigt Pärt so, wie er sich, vermutlich, selbst sieht bzw. sehen möchte: Als „einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn“ (Benedikt XVI.), dem die Musik quasi zuteil wurde, nein, er hat sie nicht selbst komponiert, er hat sie (meine Wortwahl) „unbefleckt empfangen“ wie weiland die Hl. Jungfrau das Jesuskind (siehe Symbolbild unten).*
Mich nachhaltig faszinierende Darstellung der unbefleckten Empfängnis auf einem Außenportal der Marienkapelle zu Würzburg. Bemerkenswert, dass der Hl. Jungfrau das Jesuskind hier von Gott offenbar durch das Ohr eingeblasen wird und zwar mithilfe eines Vögelchens, das ich – sicherlich ikono- wie zoologisch gänzlich inkorrekt – wg. der charakteristischen Schnabelform immer als Papagei identifiziere. Foto: S.H. 2008
Dagegen lässt sich schlecht argumentieren, und deshalb verzichtet Supin auch gänzlich auf irgendeine Form von diskursivem Kommentar. Stattdessen gibt’s, wer hätte es gedacht, Bilder, die auch vom Kollegen Tarkowski stammen könnten, sog. „starke“ Bilder durchaus, gipfelnd in der Schlusseinstellung, die den zierlichen Pärt erstaunlich leichtfüßig über eine allerdings eher mickrige Brandungswelle springen lässt.
Blöd nur, dass seine Kompositionstechnik dieser Jahre durchaus zur Gänze nicht-christlichen US-amerikanischen Downtown-Minimalisten, also Steve Reich und Phil Glass, aber auch dem kuriosen La Monte Young**, abgelauscht ist, was ich zwar in keinster Weise ehrenrührig finde, schließlich hat niemand die Musik alleine erfunden, aber erwähnen darf man es ja ruhig mal: Herr Pärt, sie sind ein Post-Minimalist, das ist doch keine Schande, hat aber nichts mit göttlicher Offenbarung zu tun, wird man ja wohl noch sagen dürfen.
Der US-amerikanische Komponist La Monte Young (*1935), Erzengel der MInimal music, sein Well-Tuned Piano traktierend.
Stilistisch am stärksten genähert habe ich mich Pärt übrigens mit dem (hier mit Samples mehr schlecht als recht simulierten) fünfeinhalbminütigen Orchesterwerk „Bernhard“ aus dem Jahr 2006, …
… welches allerdings komplett agnostisch, nämlich durch die prosaisch-buchstäbliche Sonifikation eines Gedichtes von Thomas Bernhard, entstand (Details hier).
* Schon spüre ich, dass dieser Artikel vom puren Neid befeuert ist, ach, könnte ich bzw. könnte meine Musik auch nur einmal so charismatisch sein (bzw. erscheinen) wie Pärt und die seine, so rein, so unschuldig, so glaubensgewiss, so authentisch!
** Der bsp.weise von Johannes Kreidler durchaus geschätzt wird. Sicherlich auch kein Zufall ist die mönchisch anmutende Barttracht beider Herren (also Pärts und Youngs, nicht etwa Kreidlers, den ich nur glattrasiert kenne).
Verblüfft hat mich vor allem der gar nicht mal so ekelhafte Tonfall des öffentlich-rechtlichen Off-Kommentators. Ab und zu blitzt sogar so etwas wie Sympathie auf. War die Nachkriegszeit in Deutschland (West) am Ende gar nicht so nierentischförmig, wie ich bisher dachte? Auch das Publikum scheint ja recht entspannt gewesen zu sein (und schick angezogen dazu).
Umso beschämender erscheint dagegen, wie exakt ein halbes Jahrhundert später mit Johannes Kreidler als Protagonisten eines Neuen Konzeptualismus umgegangen wurde.
MIDI-Editoren Cubase, MidiEditor (M. Schwenk), MIDIPLEX (Stas’M), Sekaiju (kuzu) Temperierung nach La Monte Young (mehr dazu hier) Microtonal MIDI Software Harmonic, PianoTuner (F. Nachbaur) Sample-Bibliothek Bösendorfer Imperial-Konzertflügel (VSL) Sample-Renderer [Host] Vienna Ensemble [Freepiano] Faltungshall [Software] ORTF-Studio (Urheber unbekannt) [FreeverbVST3_Impulser2]
Kompositionsnotiz
Skrjabins fünfteiliges Prélude op. 74 aus dem Jahr 1914 begegnete mir als von einem gewissen Jof Lee sequenziertes Standard MIDI File. Ich war sofort fasziniert von der harmonischen Architektur der Komposition. Sie wirkt einerseits wie aus einem Guss und quasi-modal, atmet aber gleichzeitig den unstillbar sinnsuchenden Geist des Expressionismus. Das erinnerte mich an einen ganz anderen, harmonisch aber ebenfalls recht eigenständigen Komponisten: La Monte Young. Dessen in den 1960er-Jahren für seine Performance „The Well-Tuned Piano“ entwickelte Klavierstimmung übertrug ich kurzerhand auf Skrjabins Werk.
Die Abfolge der Préludes habe ich anschließend aus dramaturgischen Gründen verändert, sie erklingen nun in der Reihenfolge 2, 5, 1, 3 und 4. Der Kompositionstitel ist ein Anagramm aus den Worten „Skrjabin“ und „Young“.
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