Der Track ist zu kurz. Und der Bass tut weh. Soll er wohl auch (vgl. Albumtitel). Um „Gone 2 Soon“ wirklich schätzen zu können, sollte man den Track mehrfach hören, aber nicht unbedingt hintereinander. Der Kontrast Härte (Bass, Drums) / Sanftheit (der Rest) tritt dann immer deutlicher und verblüffender hervor.
Bereits 11 Jahre vor seinem Tod hat Dominic Modaji Jacobson hier, freilich ohne Absicht, sein eigenes Requiem geschrieben. Jedenfalls halte ich das für einen schönen Gedanken.
Mehrfach hintereinander „All right, babe!“ singende VokalistInnen lassen mich normalerweise reflexhaft nach dem Ausschaltknopf suchen, hier allerdings kann ich das angesichts ansonsten exzellenter Qualtität regelmäßig erfolgreich unterdrücken. Mehr noch, „Live Wire“ ist sogar mein Favorit unter den Modaji-Favoriten!
Der Track mutet erst mal wie eine Session an, wurde aber vermutlich in der post production, spekuliere ich mal, ein wenig sortiert. Die, äh, „soulig“ und, wie gesagt, am Rande des Klischees orgelnde Sängerin (bzw. Sänger? Androgyn, diese Stimme!) und der überaus bewegliche, nahezu virtuose E-Bass wirken jedenfalls wie live irgendwo mitgeschnitten. Der Lead-Synth zwitschert und gluckert fast die ganze Zeit ebenso beschwingt wie uneigennützig. Die Harmonik im Refrain (?) ist subtil und exzellent. Und bei 5’45“ wechselt tatsächlich für kurze Zeit der Grundton!
Besonders faszinierend an „Live Wire“ ist das „Atmen“ dieses mit gut 9 Minuten doch für einen, äh, Track ziemlich langen Tracks. Es gibt in der Mitte einen leichten, aber nicht unangenehmen „Durchhänger“, der aber faszinierenderweise ausgerechnet durch das frenetische und in seiner Mechanizität jedenfalls nicht an Jazz erinnernde Klopfen der Woodblocks wieder aufgefangen wird – und weiter geht’s …
Die Wärme des elektrischen Klaviers. Souveränes Conga-Spiel. Der „sprechende“ Lead-Synth. Agogo, Fingerschnippen und so im Hintergrund. Akkord-Türme, hin- und hergeschoben. Jedes Element ist, für sich genommen, nahezu trivial, die Magie entsteht im resulting pattern. Und Humor hatte Modaji auch.
Das E-Piano zärtlich arpeggierend, fleißig punktiert von Conga und Rimshots. Der Bass grunzt behaglich. Gelegentlich Geschrei im Hintergrund, ein wenig Weltraumrauschen. Ein String-Synth zirpt. Ich lege mich bereitwillig in den Fluss der Dinge. Es möge bitte endlos so weitergehen.
Ein Track, der einem lange zwar recht hübsch und gut gemacht, aber nicht sonderlich bemerkenswert vorkommt.
Bis mir dann aufgefallen ist, dass es zwischen den rahmenden pseudo-orientalischen Abschnitten, in denen bizarrerweise ein tremolierendes Cello auftritt, und dem Siebzigerjahrejazzrock-Mittelteil inkl. quengelndem George Duke-Moogsynth-Lead tatsächlich praktisch keine musikalischen wie soziokulturellen Gemeinsamkeiten gibt. Und dass einem das nicht auffällt.
Wie hat er das gemacht, der Modaji? Auch nach oftmaligem Anhören bleibt das ein Rätsel und ich erstarre in Bewunderung.
Vielleicht kann man sagen, dass Modaji die seltene Gabe hatte, eigentlich spektakuläre kreative Leistungen beiläufig, ja nahezu trivial aussehen zu lassen. Evtl. war das seine Auffassung von coolness? Nun, das wird seiner Karriere nicht gerade genutzt haben, denn die meisten KünstlerInnen gefallen sich ja im exakten Gegenteil, d. h. sie setzen alles daran, ihre nahezu trivialen kreativen Leistungen spektakulär aussehen zu lassen. Den connaisseur aber freut’s dafür um so mehr.
Modajis ebenso ultra-perkussive wie ultra-reduzierte Behandlung des E-Pianos (spielt er das selber? ist das ein Sample? keine Angaben, nirgends) ist schlicht fantastisch, der rhythmische Fluss des ganzen Tracks sucht seinesgleichen. In der bridge dann zudem nicht-triviale harmonic progressions. Mehr braucht’s hier nicht, um mich nachhaltig in Euphorie zu versetzen.
Der Track ist auf YouTube falsch betitelt, ich hab’s recherchiert. Korrekt muss es „United Future Organisation – Flying Saucer (Modaji Somewhere Out There Mix)“ heißen. Es existiert noch ein zweiter Modaji-Remix des Tracks „Flying Saucer“ der Formation „United Future Organisation“ auf demselben Original-Vinyl-Tonträger, mit dem der hier verwechselt wurde (kann man anhand der unterschiedlichen Laufzeiten leicht nachvollziehen, das Vinyl-Cover ist ja im Video reproduziert).
Modaji war der nom de plume des Musikers Dominic Hugo Jacobson, der im April vergangenen Jahres im zarten Alter von 47 Jahren tragischerweise bereits verblich. Jacobson benannte sich vermutlich nach dem gleichnamigen Song von Dave Grusin (anderswo konnte ich diese Buchstabenfolge nicht finden) aus dem Jahr 1977. Er lebte und wirkte in London, u. a. im Umkreis der MusikerInnen-Initivative CoOp.
Ich stieß erst 2019 im Rahmen meiner verspäteten Begeisterung für Brasilectro auf Jacobsons Schaffen und zwar ausschließlich über YouTube-Versionen seiner Tracks, die von Dritten dort eingestellt wurden.
Nun, ich will nicht behaupten, Modaji habe die Musik neu erfunden, denn vieles von ihm ist, pardon, korrekt abgelieferte Dutzendware in der Stil-Nische NuJazz, also einer Neu-Erfindung von Jazz „nach“ Techno. Aber ein paar Tracks sind dann doch hängengeblieben und die möchte ich der geneigten HörerIn der Weltsicht nicht vorenthalten.
Deswegen die ganze nächste Woche außer Samstag meine Favoriten aus dem heterogenen Œuvre (aber wessen Arbeit ist schon durchgehend bemerkenswert?) des Meisters.
Für heute muss eine erste Andeutung genügen. Es handelt sich um den Remix des Modaji-Tracks „One And The Same“ durch die japanische Band Jazztronik, die sich dafür den Gitarristen Everton Nelson als Solist angelacht hat. Big Fun jedenfalls.