Ein Mann mit klarem Leitbild: Johannes Kreidler (rechts). Links Stockhausen.
Der 1980 geborene Erfinder des Neuen Konzeptualismus plauderte am 4. Dezember 2018 entspannt, lebhaft und nicht ohne Anflüge von Selbstzufriedenheit mit Irene Kurka über das Leben und die Kunst:
Dabei fiel mir auf, was viele vor allem ältere Neue Musik-KomponistInnen wahrscheinlich wirklich so provozierend finden am Schaffen und der Haltung von Johannes: seinen dezidierten Atheismus und seine skeptische (aber tolerante) Haltung gegenüber allen Formen von Spiritualität, Mystizismus und Glossolalie.
neue musik leben ist der erste mir bekannte deutschsprachige Podcast, der sich ausschließlich mit Kunstmusik beschäftigt. Geht doch.
Ein zusammenhängende Theorie des „Konzeptuellen“ in Bildender Kunst und Musik* ist mir nicht bekannt, obwohl die große Zeit der Conceptual art doch schon über ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Im folgenden Vortrag, den er am 25. November diesen Jahres in Düsseldorf hielt, versucht Harry Lehmann, gründlich und nüchtern wie immer, diese Lücke zu schließen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein „Isomorphismus von Konzept und Perzept“ das konstitutive Element konzeptueller Ästhetik sei. Das klingt – wie so oft bei Lehmann – trügerisch einfach, ist aber, wie sich bald herausstellt, das Ergebnis sehr weitgehender und scharfsinniger Reflexionen und Analysen.
Es lohnt sich für jede, die an zeitgenössischer Ästhetik interessiert ist, diesem Vortrag zu lauschen, denn dass unsere ästhetische Gegenwart auch eine „postkonzeptuelle“ (Peter Osborne) ist, dürfte klar sein:
Mein Stück Zwangsgedanke für Selbstspielklavier aus dem Jahr 2016 ist bei den Musikbeispielen dabei, was eine große Ehre bedeutet, vielen Dank dafür, Harry, das hat mich sehr berührt! Hier ist die Passage, in dem es um „Zwangsgedanke“ geht (Dauer unter 2 Minuten):
* Was ist eigentlich mit dem Konzeptuellen in der Literatur? Ich denke da immer an die Texte der Wiener Gruppe, aber gibt’s nicht noch mehr?
Anfang April warb ich hier für Johannes‘ Aktion „Earjobs. Verdienen mit Musik“. Mittlerweile ist das Ding gelaufen und der Künstler – hier in der Rolle einer Art Lutz van der Horst* der Kunstmusik brillierend und mitunter auch seine HörarbeiterInnen ganz unverhohlen anpöbelnd – hat seine Arbeit sehr kurzweilig dokumentiert und durch einen erhellenden, aber in keinster Weise belehrenden (und vollkommen un-ironischen) Werkkommentar ergänzt:
Mein Höhepunkt des Videos ist Kreidlers Konfrontation mit einer sich als non-materialistic sound artist einführenden unwilligen Hör-Kandidatin ab 2:35, die in kühlem, analytischem Tonfall zu dem Schluss kommt, was Kreidler hier simuliere, sei ja gar nicht Kapitalismus, sondern Totalitarismus (dictatorship). Allein, weil er Bewertungen über Kunst vorgebe, sei er ein „Faschist“ (fascist). Sie als sound artist hingegen könne in allem etwas Schönes finden (I can actually find ways of making it really beautiful.).
Mit einem solchen Begriff ästhetischer Erfahrung darf man dann aber konsequenterweise auch eine sehr gute Interpretation von Schönbergs „Verklärter Nacht“ nicht mehr höher bewerten als bsp.weise unbearbeitete field recordings aus einer Cottbuser Herrentoilette – vorausgesetzt natürlich, Letztere wurden von einem hochreflektierten, akademisch ausgebildeten sound artist mit dem richtigen Bewusstsein aufgenommen.
Es ist ein boshafter Gedanke, aber: Kämpft die Klangkünstlerin hier nicht auch lediglich um ihren Arbeitsplatz? Allerdings nicht um den als Angestelle in Kreidlers zynischer Hörfabrik-Fiktion, sondern um den als Protagonistin staatlich geförderter Hochkultur.**
* Sogar seine hochtoupierten Haare ähneln ein wenig der van der Horst’schen Sturmfrisur.
** Vgl. auch die einschlägige Kreidler-Sentenz: „Alle ästhetischen Debatten entpuppen sich irgendwann als Debatten über Geld.“
Endlich bin ich darauf gekommen, an was mich diese Ideenrevue vor allem wg. der verwendeten Collagetechniken erinnert: an Alexander Kluges Fernsehmagazin „10 vor 11“. Und das ist durch und durch als Kompliment gemeint.
Gut, es gibt ein paar mit Herumfuchtelei gefüllte Längen in dem Video und ich musste einige Male unterbrechen und was anderes machen, schließlich aber habe ich es zu Ende angesehen und es hinterließ unter dem Strich ein gutes, weil frisches Gefühl.
Was Kreidler motiviert, ist etwas ganz Altmodisches, aber niemals Veraltendes und zudem Seltenes: intellektuelle Neugier*. Er liest Marx‘ Kapital nicht aus wissenschaftlichem oder historischem, sondern aus ästhetischem und politischem Interesse und berauscht sich dabei an dessen Schachtelsätzen (was ihn aber noch lange nicht zum „Marxisten“ im weltanschaulichen Sinn macht). Und es ist eine Freude, ihm dabei zuzusehen.
Mit Richard Wagner geht Kreidler fair um, was immer noch nicht ganz leicht ist für einen deutschen Komponisten. Zwar werden ständig Wagnerfotos zerrissen und „Nietzsche contra Wagner“ zitiert, aber letztlich wird Wagner achselzuckend mit Schuhmann, Schubert und Brahms ins ebenso muffige wie technikbegeisterte 19. Jahrhundert eingereiht. Was so in Ordnung geht.
Man sollte sich von den gelegentlich schlingensiefisch anmutenden Bühnenaktionen Kreidlers nicht in die Irre führen lassen, letzten Endes scheint er mir für einen eher abgeklärten, wenn nicht lässigen Umgang mit Marx, Wagner und allem, was dazugehört, zu plädieren.
Kreidler ist kein Umstürzler, sondern ein Stoßlüfter. Und mit seinem szenischen Essay „Industrialisierung der Romantik“ gelingt es ihm ganz gut und vor allem effizient, ein ganze Menge hartnäckigsten deutschen Geistesmiefs ebensoll niveauvoll wie (meist) unterhaltsam zu vertreiben. Danke dafür.
* Hand aufs Herz: Wieviele Menschen aus eurem Bekanntenkreis würdet ihr spontan als „intellektuell neugierig“ bezeichnen? Na? – Eben.