Zu Dittmanns Hafensommer (1 von 4): Elliott Sharp, 17 Hippies
Freitag, der 27.07., bringt zuerst wiederum ein Gitarrensolo. Der junge Stian Westerhus zeigt als Support für Nils Petter Molvær, aus welchem Stoff seine Pitch Black Star Spangled-Welt beschaffen ist. Nicht gerade dem, womit man einen wieder brühwarmen Sommerabend beschallt. Eher dem verwandt, was man nebenan im Heizkraftwerk verheizt. Man hat ihn mit Georg Baselitz verglichen, wohl weil er die Gitarrenwelt auf den Kopf stellt. Indem er unermüdlich über seinen Pedalen tanzt und stapft, gospelt er mit schroffen, beißenden und abgehackten Sounds ragnarökisch. Auf seinen Saiten, von denen er zwei abreißt, scheinen, durch Reverb-, Distortion-, Delay- und Loopeffekte und durch Bowing zugleich angestachelt und gezügelt, die Riesenwölfe zu rumoren, die sich am Doomsday die Bäuche mit Sonne und Mond vollschlagen werden. Der da so struppig daher kommt wie ein zweiter Johnny Rotten, nannte als eine seiner frühesten Erinnerungen Mike Oldfields „Moonlight Shadow“ vom Kassettenrekorder seiner Schwester, zählt Ligetis „Requiem“ und „Reign in Blood“ von Slayer heute noch zu seinen Wegweisern, schätzt alles von Ingmar Bergman und las erst kürzlich Célines „Reise ans Ende der Nacht„. Er triggert stotternde Stakkatos, schaukelt sich hoch in orchestrale Opulenz, wird mit dem Geigenbogen „eery“, zapft Feedback aus der Box, rekapituliert im finalen Satz seines hochdramatischen Sets noch einmal alle Phasen seines Ringens, die turbulenten wie die sanglichen, um als zarter „Geiger“ zu enden, erschöpft, aber – zurecht – stolz auf die ringsum wie gebannten, schwer beeindruckten Ränge.
Nach der Verschnaufpause bildet Westerhus den linken Flügel in Nils Petter Molværs „Baboon Moon“-Trio. Dritter Mann ist Erland Dahlen, der vor zwei Jahren schon im Eivind Aarset Sonic Codex Quartet auf der schwimmenden Hafensommer-Bühne getrommelt hat. Dass Aarset wiederum Westerhus‘ Vorgänger an Molværs Seite war, verrät, wie eng verzahnt die norwegische Szene ist. Aber wie soll das gehen, so ein Bad Boy mit schmutzigen Fingernägeln und Molværs melodischer und harmonischer Nu Jazz? Den Trompeter, den ECM einst als modernistischen Erben von Jan Garbarek etabliert hat, kenne ich bisher als geschmeidigen Weichzeichner eines melancholischen und pastoralen und zugleich futuristisch geölten Norwegens, wobei da vielleicht auch noch Jon Hassells Traum nachwirkt, dass schönere Welten möglich sind. Entsprechend auf interesseloses Wohlgefallen eingestellt, bläst der vehemente Einstieg der drei meine ganzen Vorstellungen über den Haufen. Was folgt, ist der dynamischste Jazzrockset, den man sich nur wünschen kann. Dahlen erstaunt als Taktgeber, der harte, fast wie elektronisch scharfe Beats und eine Klangpalette feiner Cymbal- und Gongschwingungen bis hin zu Glockenspiel und sogar Hang souverän unter seinen Hut bringt – und wenn er dann auch noch singt, gibt das diesen besonderen Momenten den letzten Kick. Auch Molvær, dessen elektrifizierte Dynamik kaum druckvoller sein könnte, singt mehrfach in den Trompetentrichter und macht damit träumerische Passagen noch etwas mysteriöser. Eines der zarten Highlights ist eine Mondscheinserenade für Singende Säge und „gegeigte“ Gitarre. Gespielt wird ein einziges zusammenhängendes und offenbar intuitiv gesteuertes Auf und Ab mit einer Reihe von heftigen Ausschlägen, verwoben durch zeitvergessene Minuten, in denen nur noch Stäubchen im Licht oder Schneeflocken zu tanzen scheinen, Momente, in denen nur ein Hauch bleibt oder ein Schimmern, durch das die abendlichen Schwalben flitzen. Bis Molvær wieder ins Horn stößt und Westerhus seine Stakkatos stottert oder über die Saiten streicht. Mit seinem allerfeinsten Zirpen verklingt ein denkwürdiger Abend, der meinem Neid auf Norwegen wieder einen kräftigen Schub gibt.
Autor: Rigobert Dittmann
Offizielle Fotos vom Abend: Stian Westerhus, Nils Petter Molvær
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