Es ist absolut erstaunlich, dass zwei junge Männer, die – mit ihren Laptops auf den Schößen, unter Kopfhörern und die deutlich abgelatschten Sohlen ihrer Turnschuhe arglos in die Kamera haltend – eigentlich nur die Nachrichten der Woche kommentieren, mittlerweile bundesweit mittelgroße Hallen zu füllen in der Lage (pardon the pun) sind.
Aber es sind halt auch nicht irgendwelche blutarmen, irgendwie linken Dampfplauderer, sondern der männlich-lässige, bisweilen etwas grantige und stets überarbeitet wirkende Journalist und Unternehmer Philip B. & der hochgebildete juristische Feingeist Ulf „Dieter Thomas Heck 2.0“ B., die sich so ausgezeichnet verstehen und gegenseitig hochschaukeln, dass es eine wahre Freude ist, ihnen bei der Arbeit zuzuschauen.
Der ansonsten durchaus zur Staubtrockenheit neigende Verfassungsrechtler Buermeyer lässt hier gelegentlich sogar mal sein offenbar reichlich vorhandenes kabarettistisches Talent von der Kette. Ein wenig.
Anspieltipp: Von 1:13:20 bis 1:37:40 erfahren wir, warum es gar keinen Rechtsruck „der Gesellschaft“ gibt, sondern im Gegenteil die Masse der Menschen hierzulande in den letzten paar Jahrzehnten weltanschaulich nach links gerückt (geruckt?) ist. Wird man ja wohl noch sagen dürfen.
Der abgefilmte Podcast „Lage der Nation“ vom 12. Oktober 2018. Sagenhaft. Gute Unterhaltung!
Banse (links) & Buermeyer (rechts) beim Casten eines Pods.
Seit der Journalist Philip Banse und der Jurist und Richter Ulf Buermeyer (B&B) ihren wöchentlichen Podcast (Philip sagt lieber „Radiosendung“) Lage der Nation in die Blogosphäre senden, suche ich nach griffigen Vokabeln, um ihren Stil von dem bestehender journalistischer Radioformate zu differenzieren. Jetzt bin ich auf „Granularjournalismus“ gekommen. Aber was soll das heißen?
Das Lage-Logo
Nun, „granular“ steht für Feinkörnigkeit und – im übertragenen Sinn – Detailgenauigkeit, was aber nicht mit Detailversessenheit zu verwechseln ist. Und genau das sind B&B: sie scheuen vor keinem noch so kleinen juristischen (Buermeyer) und journalistischen (Banse) Detail zurück, wenn es denn der Beleuchtung einer Sachlage dient – aber sie sind keine Korinthenkacker, d. h., wenn es ihnen sachlich angemessen erscheint, wird auch mal mit dem breiteren Pinsel gearbeitet. Und mit ihrer Meinung halten sie ebenfalls nicht hinter dem Berg.
Die eigentliche Leistung der beiden besteht darin, jeweils angemessen zu entscheiden, wann wie nah herangezoomt werden muss, um Licht in eine Sachlage zu bringen. Und dafür braucht es jene Mischung aus Erfahrung, Intelligenz und Unabhängigkeit, die B&B nach meinem Dafürhalten in mehr als ausreichendem Maß mitbringen.
Ich halte die „Lage der Nation“ für ein ganz ausgezeichnetes, so (bisher leider) nur in der Blogosphäre mögliches journalistisches Format, das als Blaupause für andere Sendungen dieser Art dienen sollte. 5 von 5 Sternen.
Inhaltliche Gliederung
Anspieltipp: 00:50:07 – 00:56:36 „Rechte APO und repräsentative Demokratie“ (ziemlich Jura-spezifisch, aber warum nicht?)
Seit Kurzem erstellen der Journalist Philip Banse (Küchenradio) und der Jurist Ulf Buermeyer einen wöchentlichen Podcast mit dem bemerkenswerten Titel Die Lage der Nation (LdN). Beide Moderatoren entstammen dem Piratenpartei und ChaosComputerClub nahestehenen „technologieaffinen Linksliberalismus“*.
Vergleicht man LdN mit dem (von mir hier grade eben vorerst verabschiedeten) Podcast Alternativlos! (AL) von Frank Rieger und Felix von Leitner, so lässt sich durchaus von einem Stilwandel in dieser Szene sprechen. Während Rieger und von Leitner stets und immer komplett nerdmäßig auftraten (ok, Rieger viel weniger als von Leitner) und an der Welt der Politik stets und immer erst mal das Absurde herauskehrten, zeigen sich Banse und Buermeyer nüchterner und sachlicher, d. h. man merkt nicht sofort, dass man nicht den Deutschlandfunk eingeschaltet hat. Dennoch erlauben sie sich weiter jede Menge erfrischender Dialoge, die im professionellen Journalisums No-gos darstellten: „Sag mal, hieß der CDU-Spitzenkandidat nicht Müller?“ – „Nee, Wolf.“ oder „Weiß ich jetzt grade nicht, tut mir leid.“ bzw. „Hatte keine Zeit, das zu recherchieren, sorry.“
Ich finde Derlei deswegen erfrischend und nicht einfach nur nervig oder – wie mitunter bei AL – arrogant (à la „Wir sind halt Nerds, uns kann sowieso keiner!“), weil es dann doch den tiefen konzeptuellen und – vor allem – institutionellen Graben zwischen einer politischen Kommentarsendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einem der Blogosphäre zugehörigen Podcast deutlich macht.
Denn hier unterhalten sich einfach zwei Bürger – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Beide bringen ihren jeweils aktuellen (und notwendig lückenhaften!) Wissensstand über die Lage der Dinge mit, aber sie haben sich gegenüber niemandem zu rechtfertigen. Es gibt keinen Chefredakteur, keinen Quotendruck, keinen öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag und erst recht keine Verpflichtung, politisch korrekt zu agieren. Wenn Banse & Buermeyer das dennoch tun, so deshalb, weil politisch korrektes Sprechen eben Teil ihrer Weltanschauung ist. Aber das fühlt sich nun mal komplett anders an, als durch irgendwelche redaktionellen Vorgaben zu „ausgewogener Berichterstattung“ verpflichtet zu werden!
LdN will heraus aus dem Nerdghetto, ohne die weltanschaulichen Gehalte dieser Szene preiszugeben. Like.
* Das klingt jetzt ziemlich prätentiös, aber einer muss ja mal anfangen, diese politische Position zu beschreiben. „Linksliberal“ allein wäre zu unspezifisch, denn dann müsste man auch FDP-Figuren aus der sozialliberalen Zeit wie Gerhart Baum oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit reinnehmen. Und die wurden nun mal ohne Internet sozialisiert. „Piraten“ allein ist wiederum nicht korrekt, da nach meinem Kenntnistand keiner der beiden dieser Partei angehört. „Netzaktivisten“ sind Banse und Buermeyer ganz sicher, aber bei dieser Bezeichnung bleibt der politische Standpunkt unbestimmt. Auch wer für die AfD bloggt, ist ein Netzaktivist.
Vielleicht ließe sich die Position mit „technoliberal“ abkürzen?
Ebenso neugierig wie konzentriert schweifte der smarte Philip Banse aka DocPhil über den 32. Chaos Communication Congress, der Ende letzten Jahres in Hamburg abgehalten wurde und erstellte dabei folgende über 3-stündige, aber an keiner Stelle langweilige Reportage, die ganz hervorragend die äußerst lebendige, konstruktive und schöpferische Atmosphäre dieser (von sage und schreibe 12.000 BesucherInnen frequentierten) Veranstaltung festhält:
Eine Inhaltsübersicht und alle Shownotes (=Links zu den präsentierten Projekten) gibt’s hier.
Meine Höhepunkte: Das sinnfreie Hacken eines Fernschreibers, um damit SMS zu versenden (ab ca. 00:14:00, Frage Banse: „Warum hast du das eigentlich gemacht?“, Antwort Hacker: „Weil’s Spaß gemacht hat.“), die Vorstellung des „Engelsystems“ (inkl. „Himmel“), mit dessen Hilfe sich der Kongress derartig autopoietisch selbst zu organisieren scheint, als wollte er Luhmann vom Kopf auf die Füße stellen (ab ca. 01:34:00) sowie das nicht minder ingeniöse, aber dann doch irgendwie noch bissel betamäßig rüberkommende volldigitale Garderobenmanagement (ab ca. 02:23:00). Als im wahrsten Sinne des Wortes herausragend empfand ich das Projekt Dildo Generator (ab ca. 02:47:00), der ersten Anwendungsidee für dreidimensionales Drucken, die mir unmittelbar einleuchtete.
Zum Abschluss erfahren wir dann noch von der Subgruppe Kinky Geeks (ab ca. 02:59:00), die sich unter dem Schlachtruf: „Hit me. Bite me. Make me install Vista.“ ebenso hingebungsvoll wie safer-sex-orientiert der Digitalisierung des BDSM widmet. Beim heuer angebotenen Workshop drehte sich alles um Materialkunde: „Kreuzknoten: Der Standardknoten für alle Fälle. Einhandfesselung: Ein Hand- oder Fußgelenk an einen Gegenstand fesseln. Zweihandfesselung: Hände oder Füße aneinander fesseln.“ Gefragt, was die wichtigste Erkenntnis aus seinem Coming-out als technikliebender Fesselfreund war, sagt einer der Kinky Geeks sinngemäß: „Früher dachte ich immer, ich wäre der einzige mit diesen Ideen, heute weiß ich, dass es so gut wie nichts gibt, wo man wirklich der einzige ist!“ Ein Satz, der für die Granularisierung (Ch. Kucklick) der digitalisierten Gesellschaft ganz allgemein gelten kann, für die der CCCongress zweifellos ein Vorreiter ist.
Der Podcast enthält untypischerweise auch einige wenige Fotografien (unspektakulär und schwarzweiß, das Banse-Foto oben ist eine davon), die ich aber aus technischen Gründen hier nicht einbinden kann. Aber wer die nebenstehehende, 124 MB große m4a-Datei herunterlädt und bsp.weise mit dem VLC Media Player abspielt, bei dem geht auch das 🙂