Da ich zu diesem Artikel Applaus von der falschen Seite bekommen habe („franwag“ nahm ihn zum Anlass, mein Blog zu abonnieren), hier eine Ergänzung in etwas deutlicherer Sprache:
Thielemanns Aussage „Was tun mit Wagners Antisemitismus? In den Noten ist dafür kein Platz, denn C-Dur bleibt tatsächlich C-Dur.“ gehört zum Reaktionärsten, was man über Musik überhaupt sagen kann.
Warum? Nun, wer jemals „In C“ von Terry Riley gehört hat, dem dürfte klar geworden sein, dass C-Dur-Klänge auch außerhalb von Wagners Welt ihre Wirkung entfalten können.
Sie haben schlicht eine stimulierende Wirkung auf Menschen und andere Säugetiere – wie vieles andere auch. Man kann sich auf physiologischer Ebene gegen diese Wirkung wohl ebensowenig wehren wie gegen das Streicheln einer Hand (ob dies auch für Menschen gilt, die in außereuropäischen Musikkulturen sozialisiert wurden, wo „C-Dur“ unbekannt ist, weiß ich ich nicht).
Damit ist aber lediglich gesagt, dass „C-Dur“ dazu verwendet werden kann, den entsprechend vorgeprägten Hörer zu manipulieren. Und zwar mit beliebiger Absicht.
Ich unterstelle jetzt mal, dass Thielemann das weiß. Was er aber sagt, ist, „C-Dur ist unschuldig.“ Was er damit suggeriert, ist „Wenn C-Dur unschuldig ist, dann ist auch Wagners Musik unschuldig.“ – ganz als würde Musik absolut existieren, losgelöst von ihrem Schöpfer.
Es gibt aber keine absolute Musik, genausowenig wie es absolute Malerei oder absolute Literatur gibt. Es gibt nur relationale Musik, d. h. Musik von kontingenten Subjekten für kontingente Subjekte. Wer anderer Meinung ist (und das sind offenbar einige), der müsste dann aber bitte auch die folgende Paraphrase von Thielemanns Sätzen unterschreiben:
Ein Filmregisseur wird Leni Riefenstahl immer nach ihren Filmen beurteilen, nach ihrem handwerklichen und künstlerischen Können. Da dieses Können unstrittig ist, landet man rasch in einem Dilemma. Wohin mit dem sogenannten Weltanschaulichen? Was tun mit Riefenstahls Nähe zum Nationalsozialismus? In den Bildern ist dafür kein Platz, denn schöne menschliche Körper bleiben tatsächlich schöne menschliche Körper.
(Zum Thema Riefenstahl siehe auch diesen Artikel. Und auch jenen.)