Zu Dittmanns Hafensommer (3 von 4): Supersilent feat. John Paul Jones
9.8., und ich bin total Gabby-fiziert. Was für ein wonniger Donnerstag! Aber der Reihe nach.
Erst spielt das Akkordeonduo Arnottodrom, bestehend aus Otto Lechner, dem Ray Charles des Accordion Tribe, und Arnaud Méthivier als karottenschöpfigem Pumuckl, „imaginäre Folklore“ von höchster Sophistication. In ihrem durchgehenden Flow aus melodiösen Kapriolen und pulsierenden Begleitfiguren wechseln sie ständig die Führungsposition. Der Franzose klopft zu dieser „Volksmusik“ für vogelfreie Kopffüßler immer wieder mit der Fußmaschine auf dem Cajón, auf dem er sitzt, sture Viertel, einen Technobeat, der diese Musik endgültig verstädtert. Erstaunlich, wie er mit links auf seinem Knopfakkordeon einen Basspuls drückt und mit rechts kleine Melodien fingert, wie sein österreichischer Partner sein Pianoakkordeon in tiefen Registern knurren lässt, wie er den Korpus als Handtrommel beklopft, mit dem Daumen über die Keys ratscht, wie sein kehliges Scatten mit der hysterischen Pumuckelstimme kontrastiert. Méthivier liefert grundsätzlich zu jeder seiner Noten noch die mimische Übersetzung für Gehörlose mit. Nach einer Dreiviertelstunde erschlafft der Zauber leider auf einer Durststrecke in andächtigem Piano und in Zeit schindendem Genudel, das mich schläfrig der Leuchtspurmunition am Himmel nachstarren lässt. Doch die ersten 45 Minuten waren allemal den begeisterten Beifall wert.
Zeit für Gabby Young & Other Animals. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass der Rotschopf aus Bath im quietschbunten Petticoat derart handfest und barfuß den Hafensommerabend aufmischen würde. Als Temperamentsbündel mit umwerfender Stimme und einer Ausstrahlung, als wären ihr Allüren wesensfremd, bietet sie mit ihrer von Stephen Ellis angeführten Kapelle, die mit Geige, Trompete, Posaune und Tuba Lebensgeist versprüht, Unterhaltung, die Adele, Caro Emerald und gut und gern 170 Hippies vergessen lässt. Seit der World/Inferno Friendship Society habe ich kein so tolles Twisted Cabaret mehr erlebt. Kesser 20er-Jahre-Swing wie „Ones That Got Away“, der Kasatschok „Ask You A Question“, kompetitiver Rabatz wie „Horatio“, dazu die bittersüße Hymne „We Are All In This Together“ mit Banjozupfern als Ohrwurm und der Geisterwalzer „Whose House (Are You In?)“ lassen selbst in einem Mitklatsch- und Mitsingmuffel wie mir Gedanken an eine Wiedergeburt als Partyanimal aufkommen. Wenn Gabby bei „Sour“ mondän tut und bei „Maybe (I am not as normal as You thought)“ die Kehrseiten ihrer Engelsnatur bekennt und prompt eine Tarantella anstiftet, wenn sie offenherzige Liebesbekenntnisse wie „Male Version Of Me“ und „Honey“ allein auf der Gitarre anstimmt, wer würde ihr da nicht aus der Hand fressen? Tierlieb zu all ihren Animals, macht sie sogar Aliens zutraulich (zumindest interpretiert sie so die Lichtstreifen am Nachthimmel). Mir fehlen die Worte für Gabbys ungezwungene Manier, sich mit Tee zu stärken, ihre Bestleistungen als Ausfluss von Lebensfreude, Eigenwillen und guter Kameradschaft zu präsentieren und kollektive Euphorie zu stiften.
Autor: Rigobert Dittmann
Offizielle Fotos vom Abend: Arnottodrom, Gabby Young & Other Animals