Ein anderer Blick auf den Krieg: Die ukrainische Zivilgesellschaft als Modell für eine moderne wehrhafte Demokratie, die Patriotismus, Anarchie und MINT-Kompetenz verbindet. Interview mit CDU-Wehrexperte Nico Lange, der 2006–2012 in der Ukraine für die Konrad-Adenauer-Stiftung lebte und arbeitete:
Schlagwort: Ukraine
Gestwa zum Krieg gegen die Ukraine
Der staubtrocken und ganzlich uneitel wirkende Osteuropa-Historiker Klaus Gestwa ist in letzter Zeit zum Drosten der Diskussion um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geworden. Hier sein größter Hit, in dem er die wichtigsten der dreisten Falschbehauptungen, die seit 24. Februar 2022 im Netz und auf diversen Demos verbreitet werden, aus dem Weg räumt:
Aufklärung und Gegenaufklärung
Habermas, Varwick, Krone-Schmalz, Reinhard Merkel: Immer wieder und immer noch verbreiten Public Intellectuals sachlich falsche Informationen über die Ukraine, sagt die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies. Dabei herrsche in der Fachwelt weitgehende Einigkeit über die historischen und geopolitischen Hintergründe des Krieges. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Meinungen, Einschätzungen oder Thesen zum Geschehen, sondern um die korrekte Wiedergabe von Tatsachen.
Kreml-Narrative – Der Kampf einer Historikerin gegen Desinformation und Lügen – Kulturfragen – Deutschlandfunk
Sendung vom 12. März 2023
Eine Podcast-Episode aus dem Jahr 2014
Es unterhalten sich der deutsche Journalist Holger Klein und der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy. Meine Güte, was man damals alles schon hätte wissen können! Ein Schnipsel (sinngemäß zitiert):
HK: Putin wird doch nicht so dämlich sein, einen Krieg anzufangen!
DT: Warum sagst du das?
Was sehr gut rüberkommt, ist die extreme Verwirrtheit der Verhältnisse damals, selbst Trubetskoy als einheimischer Experte weiß sich oft keinen Reim auf die Geschehnisse zu machen. Allerdings hat er ein klares Empfinden dafür, dass Russlands damalige Annexion der Krim ein geopolitisches Ereignis von globaler Bedeutung ist – und erntet mit dieser Behauptung bei Klein höflich bemäntelten Unglauben. Faszinierendes Zeitdokument, sehr lang aber ohne Längen:
WR269 Zum Thema Ukraine und Krim – WRINT: Wer redet ist nicht tot
Die Episode wurde am 15. März 2014 publiziert, drei Tage vor der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland.
Ukraine-Update

Quelle: Facebook-Kanal Volodymyr Selenskyj
Das langsame Sterben dieser 44-Millionen-Menschen-Nation geht weiter. Die Ukraine hatte etwa so viele Einwohner:innen wie Spanien. Der Westen beruhigt sein schlechtes Gewissen mit vollkommen unzureichenden Waffenlieferungen und einem vermeintlich glamourösen Auftritt Selenskyjs vor dem US-Kongress.
Abgesehen von kleineren Anfangsproblemen kann Putin sich jetzt schon als großer Sieger fühlen:
- Die territoriale Integrität der Ukraine sowie ihre physische Funktionalität sind zerstört.
- Der Westen ist gespalten in halbherzige Unterstützer und pseudo-pazifistische Abwiegler.
- Russland und China sind engere strategische Partner geworden, die Abwendung Brasiliens, Indiens und Südafrikas vom Westen steht unmittelbar bevor.
- Russland hat sich von der Autokratie in eine Militärdiktatur gewandelt, Restbestände einer Zivilgesellschaft wurden rückstandslos eliminiert bzw. exiliert.
Putins Narrativ vom dekadenten Westen, der der Leidensfähigkeit Russlands außer hohlen Phrasen nichts entgegenzusetzen habe, hat sich voll bewahrheitet. Es ist davon auzugehen, dass er sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterhin territoriale Scheibchen Europas einverleiben wird. Der Westen wird wohl weiter reagieren wie bisher: Erst totale Empörung, dann kritische Selbstreflexion, schließlich ein bisschen militärische Gegenwehr und am Ende die Einsicht, dass Krieg unzeitgemäß und ökonomisch unsinnig sei.
Der strategischen Hintergrundunterstützung rechtspopulistischer und rechtsradikaler Bewegungen in Europa durch Russland war und ist ein beispielloser Erfolg beschieden. Mir ist kein großes europäisches Land mehr bekannt, in dem es keine bedeutende rechte Partei gibt, die Russland freundlich zugeneigt ist. Diese Parteien adressieren erfolgreich reale und legitime Probleme und bieten dann Lösungen außerhalb der bestehenden liberalen Demokratie an. So wächst auch bei liberal gesinnten Bürger:innen die Überzeugung, die westliche Ordnung sei der Lage nicht mehr gewachsen und ein Übergang zur illiberalen Pseudodemokratie unausweichlich.

Die demokratische Linke hat ihr universalistisches Emanzipationsnarrativ vergessen und kämpft stattdessen an tausend kleinen Fronten identitätspolitische Scharmützel aus, die all ihre Kräfte restlos absorbieren. Sie geht weiter davon aus, dass wir in einem postheroischen Zeitalter jenseits des Endes der Geschichte leben. Der russische Angriffskrieg wird als legitime Antwort auf den US-Imperialismus weg-interpretiert. So wirkt diese gesellschaftliche Kraft auch ohne große Hintergrundunterstüzung durch Russland an der Zersetzung westlicher Resilienz, wenn auch ungewollt, mit.
Wer möchte, dass der Krieg möglichst schnell endet, sollte sich dafür einsetzen, dass Waffen nicht an die Ukraine, sondern an Russland geliefert werden. Jegliche Unterstützung der Ukraine bewirkt eine Verlängerung des Krieges mit mehr Toten auf beiden Seiten. Selenskyjs Ablehnung einer „Mitfahrgelegenheit“ zu Beginn des Krieges war das Schlimmste, was dem Westen geopolitisch passieren konnte.
Was die Folgen für Deutschland betrifft, ist die Frage nach Waffenlieferungen gar nicht so entscheidend, denn, egal, wie der Krieg ausgeht, eine gravierende Destabilisierung wird es in jedem Fall geben:
- Wird die Ukraine annihiliert, gibt’s einen gigantischen weiteren Flüchtlingsstrom, Massenmisshandlungen und -deportationen in der Ukraine und einen potentiell unendlich langen Partisanenkrieg inkl. ukrainischer Exilregierung in Polen oder sogar Deutschland. Wer darauf besteht, dass dies doch „nicht unser Krieg“ sei, bevorzugt diese Option.
- Bleibt die Ukraine, in welcher Form auch immer, bestehen, werden wir viele Jahre lang riesige Summen in deren Wiederaufbau und weitere Verteidigung stecken müssen (nicht nur aus Solidarität, sondern auch, um o. g. Fluchtbewegung zu vermeiden), die dann anderswo fehlen. Das wiederum wird für soziale Unruhe und evtl. Ukrainer:innenfeindlichkeit in Deutschland und anderswo sorgen.
Wir haben also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Fck Ptn.
Unterdessen befindet sich die Rentner:innenrepublik Deutschland trotz allem weiterhin im nostalgischen Friedensmodus. Das Land ist viel zu reich, träge und selbstzentriert, um sich der veränderten Weltlage anpassen zu können. Die Kräfte, die eine entschlossene Unterstützung der Ukraine befürworten, werden als verantwortungslose „Bellizisten“ verspottet, die Russland dazu nötigten, die Welt in den Dritten Weltkrieg zu stürzen.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine beteiligt sich mit dem friedensbewegten Theologen Eugen Drewermann an dem Sammelband Ein willkommener Krieg? NATO, Russland und die Ukraine, der im direkten Umkreis von Götz Kubitscheks rechtsextremem Antaios-Verlag publiziert wird. Linke public intellectuals verfassen pazifistische Manifeste im Stil der 1980er-Jahre, die die störende und störrische Ukraine immer mal wieder zur Kapitulation auffordern. Die kremlgestützte deutsche Rechte ist begeistert.

Und im Osten Deutschlands freuen sich scheinbar viele DDR-Gelernte wie Bolle, den wie immer übel arroganten Westlern durch ihr Verständnis für Russlands Handeln mal wieder Rätsel aufgeben zu können, hehe. Einige erinnern sich vielleicht gerade jetzt besonders zärtlich an ihre Russisch-Schulbücher. Will uns der Westen denn alles nehmen, klagen sie, selbst unseren Kinderglauben an die deutsch-sowjetische Völkerfreundschaft?
Die Einsicht, dass wir uns, wenn kein Wunder geschieht, auf eine Zukunft unter permanenter russischer und chinesischer Einschüchterung einzurichten haben, will sich in dieser gesellschaftlichen Gemengelage nicht recht durchsetzen. Schließlich macht Gottschalk wieder „Wetten, dass..?“ und die ABBA-Hologramme werden ewig jung bleiben. Was soll schon passieren?
Es kann noch 10 Jahre dauern
ÖRR-Journalist Demian von Osten (was für ein Name für einen Osteuropa-Journalisten) lebt seit 5 Jahren in Moskau und berichtet hier in ungekünstelter Sprache von seinen aktuellen Erfahrungen mit russischen Menschen (Sendung vom 7. Januar 2023). Seit der Mobilmachung, so von Osten, habe sich ein beträchtlicher Teil vor allem der Landbevölkerung patriotisch hinter Putin geschart und man sei sich einig, so lange zu kämpfen, bis Russland eben gewonnen habe. Dass das noch 10 Jahre dauern könne, so von Osten, sei für die Menschen in Ordnung. Man denke imperial und eine imperiale Macht habe sich eben im Krieg zu befinden. Es sei in diesem Teil der Bevölkerung Konsens, dass „die da oben“ alles richtig machten.
Von Sanktionen sei nichts zu spüren. Supermärkte, Kneipen, alles voll, alles normal. Im Gegenteil, es breite sich sogar eine gewisse Euphorie aus, jetzt wieder vieles selbst herstellen zu dürfen und sich nicht mehr mit lästiger westlicher Konkurrenz auseinandersetzen zu müssen. Lücken in der Kfz-Herstellung würden von China gefüllt. Moskau werde mehr und mehr von funkelnagelneuen chinesischen Pkws und Lastwagen dominiert. (Soviel zum hierzulande endlos wiederholten Narrativ, Russland sein „international vollkommen isoliert“.)
Es gebe zwar mittlerweile frische Soldatengräber in vielen Orten, aber bei einer Bevölkerung von 145 Millionen, so von Osten, falle das nicht sonderlich ins Gewicht. Außerdem, und das ist jetzt meine Vermutung, dürfte sich das Verhältnis zur Ukraine nicht zum Besseren wenden, wenn erst mal ein Familienmitglied „im Felde geblieben“ ist. So gesehen ist von einer Radikalisierung und Fanatisierung bzw. Verbitterung der Bevölkerung auszugehen, je länger der Krieg dauert.
Wer gegen den Krieg sei, so von Osten, sei entweder emigriert, verstummt oder tot. Es scheint sich also ganz ordentlich leben zu lassen in Russland derzeit, vorausgesetzt, man interessiert sich nicht für Politik und/oder ist kein Mann im wehrfähigen Alter.
Russland im Krieg – mitmachen oder schweigen? – Weltspiegel Podcast
Kleine Erinnerung zum Jahresende
Wäre die internationale Politik Schwarzer, Precht und Welzer gefolgt, wäre Selenskyj jetzt tot, die Ukraine ein von gelegentlich aufblitzenden Partisanenkämpfen durchfurchtes Massengrab, Deutschland stünde wg. Millionen ukrainischer Flüchtlinge am Rand sozialer Unruhen und die AfD wäre bundesweit die zweitstärkste Partei. Aber wir hätten superbilliges russisches Gas!