Unsäglichkeiten in Landsberg am Lech

Brandneue Doku, die ich auf dem YouTube-Kanal der Deutschen Welle entdeckte. Bis heute kommen viele Einwohner:innen im kuscheligen Landsberg am Lech scheinbar nicht damit zurecht, dass ihre Vorfahren einem Genozid vor ihrer Haustür maximal gleichgültig, wenn nicht gar zustimmend gegenüberstanden. Andere Landsberger Bürger:innen kämpfen darum, dass der Menschen, die im naheliegenden KZ Kaufering gefoltert und ermordet wurden, in würdiger Weise gedacht werden kann – ebenfalls bis heute:

Wusste nicht, dass KZ-Überlebende in Landsberg bis in die frühen 1950er-Jahre in sog. DP-Lagern, die von den US-amerikanischen Besatzungstruppen geführt wurden, ihr Dasein fristen mussten (DP = Displaced Persons). Sie hatten sogar eine eigene jiddisch-sprachige Lager-Zeitung mit einer Auflage von bis zu 15.000 Exemplaren. Außerdem gab es ein Schwarzes Brett namens „Landsberger Szpigel“:

Das Unsägliche: 1951 gab es eine große Demonstration Landsberger Bürger:innen, bei der um „christliche Nächstenliebe“ für NS-Massenmörder gebeten wurde, die damals von der Todesstrafe bedroht waren.

Am Rande der Solidaritätsveranstaltung der Landsberger kommt es zum Gegenprotest. Es sind die Displaced Persons aus der Region. Mit „Juden raus!“-Rufen werden sie von der Menge verjagt.

„Im Land der Täter“ @39:00

Wieder einmal zeigt sich die tiefe, deprimierende Wahrheit einer überaus sarkastischen Sentenz, die dem österreichischen Juden Franz Rix zugeschrieben wird:

Auschwitz werden uns die Deutschen nie verzeihen.

Quelle: Wikipedia

Die Ukraine als Modell

Ein anderer Blick auf den Krieg: Die ukrainische Zivilgesellschaft als Modell für eine moderne wehrhafte Demokratie, die Patriotismus, Anarchie und MINT-Kompetenz verbindet. Interview mit CDU-Wehrexperte Nico Lange, der 2006–2012 in der Ukraine für die Konrad-Adenauer-Stiftung lebte und arbeitete:

Militär und Zivilgesellschaft – Die Wehrhaftigkeit der Ukraine Kulturfragen – Deutschlandfunk

Norbert Elias in eigenen Worten

Elias gilt zwar gemeinhin als einer der Soziologen des 20. Jahrhunderts, aber gelesen hat ihn zumindest in meiner Generation nach meinem Kenntnisstand kaum jemand. „In“ waren zu meiner Studienzeit um 1990 herum Foucault, Luhmann und Habermas. Der Poststrukturalismus hat sich mittlerweile in mehr oder weniger sektiererischen Postkolonialismus aufgelöst, die Systemtheorie in mehr oder minder opportunistische Unternehmensberatung. Die anthropologische und tiefenpsychologische Perspektive auf Gesellschaft kommt dabei jeweils zu kurz. Wer sich für Soziologie jenseits von „Der Wille zum Wissen ist der Wille zur Macht“ oder „Doppelter Kontingenz“ interessiert, bekommt hier einen konzentrierten Einblick in ein ganz anderes Denken vom Urheber selbst. Und ein paar nostalgisch stimmende Impressionen aus den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts dazu:

Zwei längere Artikel zu Elias habe ich 2019 hier und hier gepostet.

Aufklärung und Gegenaufklärung

Habermas, Varwick, Krone-Schmalz, Reinhard Merkel: Immer wieder und immer noch verbreiten Public Intellectuals sachlich falsche Informationen über die Ukraine, sagt die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies. Dabei herrsche in der Fachwelt weitgehende Einigkeit über die historischen und geopolitischen Hintergründe des Krieges. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Meinungen, Einschätzungen oder Thesen zum Geschehen, sondern um die korrekte Wiedergabe von Tatsachen.

Kreml-Narrative – Der Kampf einer Historikerin gegen Desinformation und Lügen Kulturfragen – Deutschlandfunk

Sendung vom 12. März 2023

Eine Podcast-Episode aus dem Jahr 2014

Es unterhalten sich der deutsche Journalist Holger Klein und der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy. Meine Güte, was man damals alles schon hätte wissen können! Ein Schnipsel (sinngemäß zitiert):

HK: Putin wird doch nicht so dämlich sein, einen Krieg anzufangen!
DT: Warum sagst du das?

Was sehr gut rüberkommt, ist die extreme Verwirrtheit der Verhältnisse damals, selbst Trubetskoy als einheimischer Experte weiß sich oft keinen Reim auf die Geschehnisse zu machen. Allerdings hat er ein klares Empfinden dafür, dass Russlands damalige Annexion der Krim ein geopolitisches Ereignis von globaler Bedeutung ist – und erntet mit dieser Behauptung bei Klein höflich bemäntelten Unglauben. Faszinierendes Zeitdokument, sehr lang aber ohne Längen:

WR269 Zum Thema Ukraine und Krim WRINT: Wer redet ist nicht tot

Die Episode wurde am 15. März 2014 publiziert, drei Tage vor der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland.