„Kosmas“: Wolfgang Müller auf dem Weg

Wenn alle künstlerischen Positionen ihre Daseinsberechtigung haben, dazu kein Außen mehr existiert und der Markt letztlich den Wert bestimmt, dann wird Kritik zwangsläufig zur persönlichen, individuellen Angelegenheit.

Eine der vielen klugen Beobachtungen zur gegenwärtigen Situation gegenwärtiger Kunst, die Wolfgang Müllers Prosa „Kosmas“ enthält. Ich sage bewusst Prosa, denn der Begriff „Roman“ taucht nur auf dem Klappentext auf und um einen klassischen Roman handelt es sich hier auch sicherlich nicht. Eher um das wütende, trotzige, traurige, teils fassungslose Pamphlet eines enttäuschten Liebhabers. Seine Angebetete war (ist?) die „zeitgenössische Kunst“ in ihrer sog. „radikalen“ Ausprägung, also alles, was sich möglichst weit jenseits des traditionellen Kunstverständnisses bewegt.

Jedoch stößt Müller nicht ins gleiche kulturpessimistische Horn wie Vittorio Sgarbi, Kurator des italienischen Pavillons bei der diesjährigen Kunstbiennale in Paris, dessen, so Monopol-Chefredakteur Holger Liebs „bodenloser Zynismus“ allerdings „Meilen vom heutigen Kunstsystem entfernt“ sei. Nein, Wolfgang Müller ist ja selber „avancierter“ Künstler, Begründer und bekanntestes Mitglied des „Post-Punkgetriebes“ „Die Tödliche Doris“. Da wird er doch nicht an dem Ast sägen … Tut er doch. Ein wenig zumindest.

„Kosmas“ will eine bittere, hellsichtige Satire über die Verkommenheit des Kunstbetriebs und die ästhetische Verbrauchtheit der auf ihm gehandelten Produkte sein. Dieser Anspruch wird nicht immer eingelöst: Manchmal schweift der Autor ab (z. B. wenn es um seinen Rausschmiss als Kolumnist bei der taz geht – da ist sie wieder, diese Bitterkeit!), ein anderes Mal bleibt er in nur halb witzigen Kalauern stecken, so dass ich mich nach der Lektüre frage, was denn das Ganze jetzt eigentlich sollte und worin der Erkenntnisgewinn dieses Buches liegt.

Zeitgenössische Kunst ist zum Spekulationsobjekt teils banausischer Finanzeliten geworden. Ok, das wussten wir. Die ästhetische Sprengkraft der Nachkriegsmoderne hat sich abgenutzt und kann auch durch Strategien der Übertreibung, Parodie oder Rekonstruktion nicht mehr wiederbelebt werden. Ok, wussten wir auch. Der große Oswald Wiener hat das schon 1990 so formuliert:

Die Moderne mit ihrer Metaphysik, inklusive der ‚Postmoderne‘, ist heute geistiger Besitz der Mittelklasse, und sie wird morgen den Massen angehören. Das geht so wie bei Kinderreimen, die ein Kind von anderen Kindern lernt. Das mag sich jenseits der Aufklärung durch die Zeiten fortpflanzen und ‚archetypische‘ Erinnerung werden.

Genau diesen Fall spielt Müller am Ende des Buches durch, als er im Jahre 2576 einen Archäologen Comicfigur-Skulpturen von Jeff Koons ausgraben lässt. Die Menschen der Zukunft rätseln vergeblich über die kulturelle Signifikanz dieser Artefakte, sie erscheinen ihnen ebenso fremdartig wie uns heute die Moais auf der pazifischen Osterinsel. Wen wundert’s? „Verstehen“ wir denn wirklich, was uns etwa die „Neidköpfe“ auf mainfränkischen Renaissance-Rathäusern sagen wollen?

„Kosmas“ beginnt sprachlich recht schleppend und stockend in einem etwas nervigen parataktischen Stil ohne rechten Fluss. Später wird es deutlich besser, doch nun nehmen die Tippfehler massiv zu, was das Lesevergnügen dämpft. Gegen Ende wird es auch inhaltlich ein wenig schludrig, als wären dem Autor die Ideen ausgegangen, als er das Buch unbedingt zu einem Ende bringen wollte. Mehrfach werden Handlungsentwicklungen einfach mit der, wohl ironisch gemeinten, Bemerkung abgebrochen, dass diese „den Rahmen dieses Buches sprengen würden“. Auch dies überzeugt nur halb: ich habe eher den Eindruck, dem Autor fehlte hier die schriftstellerische Kraft, das Erforderliche bündig auszudrücken.

Wer ist nun eigentlich der Adressat dieses Buches? Für einen an zeitgenössischer Kunst nur durchschnittlich Interessierten enthält es zu viele Insider-Anspielungen, für einen etablierten Kunstbetriebler ist es eventuell zu respektlos und für den ausschließlich „literarisch“ lesenden Leser (sic!) ist es sprachlich einfach zu dürftig. So wird „Kosmas“, trotz aller mitunter pointierter Gesellschaftsbeobachtung und jeder Menge skurrilen Humors, vermutlich nicht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis landen. Und auch nicht auf der Longlist.

Den Titel des Buches konnte ich nicht wirklich dekodieren, ich fand lediglich den Hinweis, dass „Cosmas und Damian“ zwei frühchristliche Märtyrer sind, die, sagt Wikipedia, „wegen ihres umfangreichen und selbstlosen Wirkens … noch heute verehrt“ werden. Sollte das Buch vielleicht ursprünglich „Damien“ (Hirst) heißen (immerhin gibt es ein Theaterstück von Rainald Goetz namens „Jeff Koons“ aus dem Jahre 1998)?

Polemisches Postskript: Handelt es sich bei Wolfgang Müller gar um einen Wiedergänger des Dadaisten Hugo Ball, der in späteren Lebensjahren zum mystischen Katholizismus shiftete? Denn dieser erlöst ja ganz sicher vom „Neo-Individualliberalismus“ (=Müllers Kampfbegriff für das Böse in dieser Welt) und erschafft eine Kultur, in der nur noch eine Kunstrichtung möglich, dann aber auch verbindlich und für jedermensch verständlich ist: die religiöse.

7 Kommentare zu „„Kosmas“: Wolfgang Müller auf dem Weg

  1. Die Rezension ist reichlich wirr und widerspricht sich vielfach: Einerseits ist von „vielen klugen Beobachtungen“ in KOSMAS die Rede, gleichzeitig wird permanent die uralte Nummer von „kennen wir doch alles längst“ bemüht. Das lustige „subjektlose Mobbing“ aus KOSMAS wird kurzerhand in einen brutalen „Rausschmiss“ bei der taz verwandelt und dem „Opfer“ folglich „Bitterkeit“ unterstellt. Wegen 44 Euro Monatskolumnenhonorar? Dabei bekam der subjektlose Geist kurz darauf den hochdotierten Karl-Sczukapreis verliehen, wofür er allein über 30 Jahre mit dieser Zeitungskolumne hätte weitermachen müssen. Freunde des Autors wie Oswald Wiener oder Jörg Schröder freuten sich sehr mit ihm darüber. Vor allem hätten sie natürlich sofort bemerkt, warum das Buch den Titel KOSMAS trägt. Schon Beuys Multiple „COSMAS (!) und Damien“ in der Zeichnung von Max Müller wäre ihnen nicht entgangen. Sie können tatsächlich „interaktiv“ zwischen Text und Bild denken. Aber Rainald Goetz nachzueifern, ihn zu plagiieren, indem jemand sein Buch „KOSMAS“ nennt – auf eine solche spitzfindige Idee wären sie nie gekommen. Wenn schon, dann vielleicht auf Arno Schmidt („Kosmas oder Vom Berge des Nordens“) oder besser noch auf Oswald Wieners: „Auch wir möchten vom Arno Schmidt Jahr profitieren.“ Der Rezensent lässt unter seiner Bildungsbeflissenheit unbeabsichtigt zuviel eigene Charakter- und Persönlichkeitsstrukturen durchscheinen. Aber das macht seine um Neutralität bemühte Kritik auch ein Stückweit interessanter, als sie eigentlich ist. Denn der Hinweis auf die „Betroffenheit Betroffener“ – bei gleichzeitiger totaler Ausblendung des EIGENEN Subjektes ist ein deutliches Beispiel für genau dieses neo-individualliberale Denken. Das „Böse“ aber ist etwas völlig anderes.

    Weiterführende Empfehlung: Matthias Mergl „Der Terror des Selbstverständlichen“: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,357,13.html

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    1. Lieber Wolfgang Müller! Fühle mich sehr geehrt, vom Autor persönlich eine Meta-Rezension ins Blog geliefert zu bekommen! Verblüfft hat mich allerdings deine Behauptung, meine Spitzfindigkeit übertreffe selbst die Oswald Wieners – zuviel der Ehre! Weiterhin: Auf die Blindheit für das eigene Subjekt hingewiesen zu werden, kann nie schaden. Aber dass „zuviel“ meiner „Charakter- und Persönlichkeitsstrukturen“ lediglich „unbeabsichtigt“ durch meine Texte durchscheinen sollen – das hat mich doch ein wenig verletzt. Trotzdem hoffe ich aufrichtig, mit meiner dezidiert subjektiven Lesart deines Buches die Grenzen der Fairness nicht allzu sehr strapaziert zu haben. Liebe Grüße, Stefan Hetzel

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  2. Lieber Stefan Hetzel,
    die Grenzen der Fairness haben Sie in Ihrer Rezension an keiner Stelle überschritten. Ob mein Seitenhieb von der „Spitzfindigkeit“ nun bei Ihnen tatsächlich als Kompliment angekommen ist oder Sie sich in ironischer Form bedanken – das kann ich natürlich nicht wissen. Oswald Wiener und ich haben 2002 gemeinsam auf einer Bühne in Köln musiziert, wir sind persönliche und interaktive Fans/Bekannte seit 1980, wo er in Kreuzberg lebte – dagegen kann ich mit Rainald Goetz Theaterstücken und Büchern nicht viel anfangen. Außerdem wäre es mir persönlich total peinlich (gewesen), ausgerechnet bei der Bachmannpreisverleihung als blutiger Stirnaufschlitzer im SPIEGEL berühmt zu werden. Mein Freund Tex Rubinowitz behauptet zwar, das sei alles ganz „echt“ und „authentisch“ gewesen, aber dann nimmt Goetz mit solchen martialischen Macho-Gesten eben den Kulturbetrieb für meinen Geschmack eine Spur zu ernst/wichtig.

    Apropos Tippfehler in KOSMAS: Sollten Sie die zufällig alle angekreuzt haben, schicken Sie mir unbedingt eine Kopie für die eventuelle 2. Auflage, dann kann ich die Korrekturen einfügen. Tatsächlich schlampt der Verbrecher-Verlag wirklich manchmal sehr (die haben halt keine fanatischen und gutbezahlten Fehlersucher wie zb. der suhrkamp-Verlag.) So stand auf dem Rücken der 3. Auflage von „Die Elfe im Schlafsack“ plötzlich der Titel „Die Elfe im Schalfsack“ und „Wolfgang Müller“ wurde dort zu „Wolfgnag Müller“. Unfassbar! Jeder weiß zwar, was gemeint ist, aber das geht nun wirklich nicht. Zum Glück erscheint jetzt eine korrigierte geb. 4. Auflage dieser isländischen Märchen und Fabeln zur Frankfurter Buchmesse,
    herzlichst,
    Wolfgang Müllerrr

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    1. Lieber Wolfgang Müller! Natürlich war mein Dank für die „Spitzfindigkeit“ ironisch gemeint 😉 Von Ihrer Bekanntschaft mit Wiener wusste ich, seitdem ich die supposé-CD „2.3“ mal in den Händen hielt (gehört habe ich sie allerdings zugegebenermaßen bisher nicht). Rainald Goetz – na ja – „Abfall für alle“ fand ich schon sehr gut, aber die Theatertexte, nun ja … Aber den Kulturbetrieb nehmen Sie doch schon auch wichtig, oder? – Ein Tippfehler-Ankreuzler bin ich allerdings ganz und gar nicht, trotz gelegentlich auftretender zwanghafter Charakterzüge 😉 Herzliche Grüße sendet Stefan Hetzel

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